Arbeit der Zukunft

Digitalisierung ist nicht alles – ein Gastbeitrag von Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsstelle "Arbeit der Zukunft" der Hans-Böckler-Stiftung

Mann arbeitet im Cafe.

Im Mai 2015 hat die Hans-Böckler-Stiftung die Kommission Arbeit der Zukunft ins Leben gerufen. Vertreterinnen und Vertreter aus Gewerkschaften, Wirtschaft und Wissenschaft befassten sich im Rahmen dieser Arbeitsgruppe mit den fundamentalen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Mit ihrem Abschlussbericht präsentierten die Kommissionsmitglieder im Juni 2017 Empfehlungen zur Gestaltung der digitalen Ökonomie. Ein Gastbeitrag von Christina Schildmann.

Arbeit der Zukunft kennt zwei Extreme

Der Diskurs über die Arbeit der Zukunft kennt zwei Extreme. Auf der einen Seite stehen die Digitalisierungseuphoriker, die die Augen vor den sozialen Zusammenhängen verschließen. Auf der anderen Seite des Spektrums stehen die Apokalyptiker, die (wieder einmal) das Ende der Arbeit und die baldige Machtübernahme der Maschinen (neuerdings auch der Algorithmen) kommen sehen. Die im Mai 2015 von der Hans-Böckler-Stiftung eingesetzte Kommission „Arbeit der Zukunft“ hatte den Auftrag, jenseits von Heilserwartungen und Schreckensszenarien die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt zu analysieren, Annahmen für die Zukunft zu treffen, Gestaltungspotenziale auszuloten und Handlungsempfehlungen zu geben. Zu Beginn stand die Frage, was die Digitalisierung eigentlich ausmacht: Aus Sicht der Kommission ist es die Kombination aus Beschleunigung, Vernetzung und Transparenz, die die Wucht der Veränderungen erzeugt. Es handelt sich um Phänomene, die zwar durch die technische Entwicklung ermöglicht werden, aber weit über die Technik hinausweisen. Zum Beispiel stehen Betriebsräte vor ganz neuen Herausforderung, wenn das Personalmanagement zunehmend von Algorithmen übernommen wird.

Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Veränderung der Erscheinungsformen von Beschäftigung. Der Arbeitsmarkt spaltet sich zunehmend in einen geschützten Kern und einen unsicheren Rand auf; und dort differenziert er sich immer stärker aus. In vielen Betrieben arbeiten Festangestellte, Leiharbeiter/ innen und Werkvertragsnehmer/innen nebeneinander. Die Grenzen der Betriebe werden diffuser, zum Beispiel durch die Einbeziehung von Arbeiter/ innen auf digitalen Plattformen.

Verbreitung digitaler Arbeit nach Branchen Angaben in Prozent. Quelle: INIFES; Berechnung und Darstellung auf Basis des DGB-Index Gute Arbeit 2016
Verbreitung digitaler Arbeit nach Branchen Angaben in Prozent. Quelle: INIFES; Berechnung und Darstellung auf Basis des DGB-Index Gute Arbeit 2016
Foto: Pia Danner | CC BY-NC-SA

Ein neuer Arbeitnehmerbegriff

In der Dreieckskonstellation der digitalen Plattform (Auftraggeber, Auftragnehmer, Intermediär) verschwinden der Arbeitgeber als verantwortliche Instanz und der Ort der Arbeitserbringung spielt keine Rolle mehr. Digitale Plattformen können die technische Grundlage für kollaborative Arbeitsformen sein. In der Praxis handelt es sich aber zumeist um eine „Gig Economy“. Digitale Plattformen, Netzwerkbetriebe etc. werfen neue Fragen auf: Wenn Solidarität bislang um den Betrieb als Einheit organisiert ist – was passiert, wenn die Grenzen der Betriebe durchlässig werden, wenn sich Arbeit zunehmend enträumlicht? Wie kann kollektives Handeln und wie muss sich der Sozialstaat neu ausrichten, um die neuen, fragilen Biografien abzusichern? Die Kommission hat die Debatte über einen neuen Arbeitnehmerbegriff und einen neuen Betriebsbegriff, die bislang nur in der juristischen Fachwelt lebhaft geführt wird, aufgenommen und weitergeführt. Die Idee, durch eine konzeptionelle Erweiterung und Enträumlichung der beiden Institutionen „Arbeitnehmer“ und „Betrieb“ die Solidaritätszone auszuweiten, erschien der Kommission als plausible Antwort auf die Entstofflichung und Entgrenzung von Arbeitsprozessen. Die Kommission richtet ihren Blick aber auch auf andere Veränderungstreiber und die „ungemachten Hausaufgaben in Deutschland“: den demografischen Wandel und die weitestgehend ungelöste Geschlechterfrage. Als Konsequenz hat sie eine radikale Forderung aufgestellt: das Ende der Hierarchisierung von Lebenssphären, also das Ende der Unterordnung aller anderen Tätigkeiten (Kindererziehung, Pflege, Ehrenamt) unter die Erwerbstätigkeit.

Christina Schildmann leitet die Forschungsstelle „Arbeit der Zukunft“ der Hans-Böckler-Stiftung, sie hat von 2015 bis 2017 die gleichnamige Kommission betreut. In ihrem Gastbeitrag fasst sie die Ergebnisse der Kommission „Arbeit der Zukunft“ zusammen.
Christina Schildmann leitet die Forschungsstelle „Arbeit der Zukunft“ der Hans-Böckler-Stiftung, sie hat von 2015 bis 2017 die gleichnamige Kommission betreut. In ihrem Gastbeitrag fasst sie die Ergebnisse der Kommission „Arbeit der Zukunft“ zusammen.
Foto: (c) FRÄULEIN FOTOGRAF

Weg vom Normalarbeitsverhältnis

Dieser Gedanke führte die Kommission zu Antworten, die in der Digitalisierungsdebatte kaum eine Rolle spielen, aber zentral für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft sind. Dazu gehört die Forderung nach einem neuen Normalarbeitsverhältnis, das sich nicht mehr am fordistischen Modell des (männlichen) Alleinernährers orientiert. Für die Kommission heißt das auch, sich vom Begriff der „atypischen Beschäftigung“ zu verabschieden und Normalität pluraler zu denken. Die Kommission hat ihren Blick aber auch auf die professionell geleistete Sorgearbeit gerichtet, die im Gegensatz zur Produktion ein Wachstumsbereich ist. Als Hebel zur Aufwertung schlägt sie einen neuen Produktivitätsbegriff vor, verbunden mit einem neuen Referenzsystem zur Messung von Wohlstand und Wachstum.

Alle 54 Denkanstöße und 22 Debatten der Kommission finden sich in: Jürgens, Kerstin/ Hoffmann, Reiner/Schildmann, Christina (2017): Arbeit transformieren, Transcript.