Die Bertelsmann Stiftung geht in ihrem Projekt „Monitor Digitale Bildung“ der Frage nach, wie und wo Lernen mit digitalen Medien für unterschiedliche Gruppen sinnvoll eingesetzt werden kann. Wir haben Dr. Julia Behrens, der Leiterin dieses Projekts, ein paar Fragen dazu gestellt, was Digitalisierung an Schulen eigentlich bedeutet und wo Chancen und Risiken liegen.
GRÜNE Zeiten: Warum überhaupt sollte Digitalisierung an Schulen eine Rolle spielen?
Dr. Julia Behrens: Unsere Welt ist digital. Das bezieht sich längst nicht mehr nur auf den beruflichen Bereich, sondern betrifft auch schon lange unser Privatleben und unseren Alltag. Kinder müssen auf das Leben in dieser Welt vorbereitet werden. Dabei geht es gar nicht nur darum, sie für ihr späteres Berufsleben fit zu machen. Es beginnt viel früher, mit dem reflektierten Umgang mit Medien, mit eigenen Daten, mit Phänomenen wie „Fake News“ etc. Kinder müssen lernen, sich in dieser Welt zurechtzufinden. Entsprechend kann man darüber diskutieren, in welchem Alter Kinder mit dem Thema Medien konfrontiert werden sollten, aber weniger über die Frage, ob überhaupt. Die Schule soll Kinder auf das Leben vorbereiten. Dazu gehört der Umgang mit digitalen Medien. Und darüber hinaus können digitale Medien den Unterricht und das Schulgeschehen bereichern und entlastend gestalten. In diesem Sinne ist die fortschreitende Digitalisierung der Bildungslandschaft auch eine Möglichkeit Herausforderungen zu begegnen, wie etwa einer heterogenen Schülerschaft oder dem Ganztagsunterricht.
Was bedeutet Digitalisierung für Schulen konkret?
Es geht natürlich zunächst um Ausstattungsfragen. Immer noch mangelt es an vielen Schulen an der technischen Grundvoraussetzung und professionellem Support. Nur 37 Prozent der Lehrkräfte sind laut „Monitor Digitale Bildung“ mit der Qualität des WLANs, das ihnen zur Verfügung steht, zufrieden. Technischen Support gibt es zumeist gar nicht. Die Lehrenden selbst sorgen dafür, dass die Geräte auf dem aktuellen Stand bleiben. Das ist natürlich eine Überforderung des Lehrpersonals. Etwa 2,8 Milliarden Euro jährlich würde es kosten, alle deutschen Schulen mit gut funktionierendem WLAN, IT-Support und digitalen Geräten in allen Lernräumen auszustatten, wie das Institut für Informationsmanagement der Universität Bremen (ifib) kürzlich für die Bertelsmann Stiftung berechnet hat. Daneben braucht es Fortbildungsangebote – und den Freiraum dafür – für das Lehrpersonal. Bisher werden Lehrende viel allein gelassen. Es fehlt an Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien und ihren Einsatzmöglichkeiten im Schulgeschehen. Und dann braucht es natürlich ein Konzept. Dazu gehört die Entwicklung eines gemeinsamen Zielbildes, was eine gute Schule ausmacht. Digitale Medien sind ja kein Selbstzweck, sondern sollen helfen, ein Problem zu lösen oder etwas im Unterricht ermöglichen, das ohne digitale Unterstützung nicht möglich wäre. Aber nur etwa acht Prozent aller im Rahmen des „Monitor Digitale Bildung“ befragten Schulleiter sehen in der Digitalisierung bisher auch ein schulstrategisches Thema.
Wie könnte sich Schule und Unterricht verändern durch Digitalisierung?
Das Beispiel der niederländischen Synergieschool kann ein Leuchtturm sein. Die Synergieschool ist nicht deshalb so erfolgreich, weil sie Tablets im Unterricht einsetzt, sondern weil sie die Technik nutzt, um ein Schulkonzept zu ermöglichen, das Raum gibt für individuelles Lernen. Wenn digitale Medien klug und mit Offenheit genutzt werden, ist dadurch viel leichter möglich, was schon lange als notwendig erkannt und als Anspruch formuliert war: Personalisierte, auf die jeweilige Ausgangslage des Einzelnen bezogene Lernangebote zu realisieren. Über den sinnvollen Einsatz von digitalen Medien und ihre Rolle als Instrument der teamorientierten Unterrichts- und Schulentwicklung wird nur in wenigen Schulen systematisch nachgedacht. Oft fehlen im Schulalltag die Freiräume dafür. Hier bräuchten Schulen externe Begleitung und Beratung, den Austausch mit Gleichgesinnten und Beispiele gelungener Praxis. Das gesamte Potenzial des digitalen Lernens kann sich nur entfalten, wenn Rahmenbedingungen, eine chancenorientierte Haltung und Kompetenzentwicklung der Lehrenden Hand in Hand gehen.
Wo liegen Risiken, wo liegen Chancen?
Das Ziel muss sein, die Digitalisierung unserer Welt in den Dienst einer besseren Didaktik und eines ganzheitlich orientierten Schulkonzepts zu stellen. Das Potential des digitalen Lernens können wir nur ausschöpfen, wenn wir unser Verständnis von Lernen und Lehren weiterentwickeln, stets mit den Bedürfnissen jeder Schülerin und jedes Schülers im Zentrum. Natürlich birgt die Digitalisierung auch Risiken: Jede Suchanfrage, jede Interaktion mit Software oder Webseiten hinterlässt Spuren im Internet, wenn ich mich nicht schütze. Diese Daten können missbraucht werden. Gerade im Bildungsbereich ist das sehr sensibel. Wer möchte schon in einem Vorstellungsgespräch zwanzig Jahre nach der letzten Mathematikklausur auf die eine verpatze Note angesprochen werden. Wie für die gesamte Digitalisierung gibt es jedoch auch hier keinen Stoppknopf. Umso wichtiger ist der kompetente, aufgeklärte und reflektierte Umgang mit digitalen Medien. Gerade im Bewusstsein dieser Risiken sind deshalb alle gefordert,den digitalen Wandel aktiv zu gestalten, damit wir die Daten beherrschen, statt von ihnen beherrscht zu werden.
Wo sind Ihrer Meinung nach die Stellschrauben, an denen Politik ansetzen kann, damit Digitalisierung an Schulen ein Erfolgsprojekt wird?
Da muss von mehreren Seiten aus agiert werden. Zum einen brauchen die Lehrenden das Angebot zur Fortbildung und auch die Möglichkeit, die wahrzunehmen. Das Thema müsste eigentlich auch für jeden Lehramtsstudierenden verpflichtend sein. Dazu muss die Unterrichts- und Schulentwicklung unterstützt werden. Man darf Schulen da nicht einfach alleinlassen. Da würden spezielle Fortbildungsbudgets helfen, die die Schulen zum Beispiel einsetzen könnten, um gesammelt die Kollegen eines Faches zu schulen. Zusätzlich muss am Schulkonzept gearbeitet werden. Dafür brauchen die Schulen externe Begleitung und Beratung. Schulen, die sich hier auf den Weg machen, müssen ein Netzwerk bilden können, damit sie Erfahrungen austauschen und voneinander lernen können. Und natürlich geht es nicht ganz ohne technische Ausstattung. Da geht es vor allem um die WLAN-Abdeckung und um den IT-Support an Schulen. Es kann nicht sein, dass engagierte Lehrer das in ihrer Freizeit übernehmen. Hier braucht es Unterstützung durch professionelle IT-Fachkräfte.