Die Debatten nach tödlichen Polizeieinsätzen – zuletzt der Tod von Lorenz A. in Oldenburg – zeigt auf schmerzliche Weise, wie dringend strukturelle Reformen bei der Polizei erforderlich sind. Besonders junge Menschen, die als „fremd“ gelesen werden, sowie ihre Familien und Freund*innen verlieren aufgrund struktureller ungerechter und ungerechtfertigter Behandlungen zunehmend das Vertrauen in staatliche Institutionen.
In vergleichbaren Fällen wie dem Polizeieinsatz mit Todesfolge in Oldenburg gab es in der Vergangenheit immer wieder schwerwiegende Missstände – von mangelhafter Aufklärung innerhalb der Polizei bis hin zu fehlenden Konsequenzen für verantwortliche Einsatzkräfte.
Bündins 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen schließt sich den Forderungen des Stadtverband Oldenburg an. Ziel ist eine unabhängige und transparente Kontrolle staatlichen handelns zu gewährleisten und anonyme Anlaufstellen für Polizist*innen zu schaffen.
Unsere Forderungen:
1. Selbständige Ermittlungsstellen auf Bundes- und Landesebene
Wir fordern die Einrichtung einer institutionell unabhängigen Ermittlungsstelle, die bei Verdacht auf polizeiliches Fehlverhalten umfassend und in eigener Zuständigkeit tätig wird.Das gilt für tödlich verlaufende Einsätze, aber auch für Fälle von Diskriminierung, sexualisierter Gewalt oder verfassungsfeindlicher Tendenzen nicht allein in Chatgruppen. Der Blick beispielsweise nach Dänemark zeigt, dass diese Stelle außerhalb der Polizei angesiedelt werden kann und sollte. Bei tödlich verlaufenden Einsätzen soll diese Ermittlungsstelle durch eine zivilgesellschaftlich besetzte Kommission unterstützt werden. Auf Landesebene fordern wir bis dahin umgehend, dass solche Ermittlungen künftig nicht mehr durch benachbarte Polizeiinspektionen oder –direktionen durchgeführt werden, sondern von einer unabhängigen Ermittlungseinheit.
2. Polizeibeauftragte mit echten Befugnissen auf Länderebene
Wir fordern in allen Bundesländern die Einrichtung von unabhängigen, parlamentarisch kontrollierten Polizeibeauftragten mit umfassenden Rechten: Akteneinsicht, eigene Ermittlungen, strukturelle Prüfung von Missständen. Auch in Niedersachsen fordern wir eine*n solche*n Polizeibeauftragte*n als zentrale Beschwerdestelle für von Diskriminierung betroffene Bürger*innen und für Polizist*innen. Auch innerhalb der Polizei muss es möglich sein, von Diskriminierung betroffenen Anwärter*innen und Beamten*innen die Möglichkeit zu geben, sich anonym, vertrauensvoll und niederschwellig an jemanden zu wenden. Diese sollten, personell auskömmlich ausgestattet, über Verfahrensrechte in Straf-, Disziplinar- und Verwaltungsverfahren verfügen, um Betroffenen die Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen. Zudem empfiehlt sich eine verbindlich geregelte Zusammenarbeit der Polizeibeauftragten mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wie etwa Opferberatungsstellen.
3. Reform der Polizeiausbildung und Einsatzrichtlinien
Polizeiliche Ausbildung muss sich grundlegend verändern. Insbesondere Kommunikation, Deeskalation, der Umgang mit psychischen Ausnahmesituationen, der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit sowie Sensibilität für strukturelle Diskriminierungsrisiken und Rassismus gehören daher, gleichwertig zu rechtlichen und taktischen Inhalten, ins Zentrum der Ausbildung an der Polizeiakademie und dringend auch in die Phase des Praxiseinstiegs in die Polizei. Ein laufendes Monitoring ist hierfür ebenso unerlässlich wie die Stärkung der Supervision von polizeilichem Alltagshandeln und Alltagserfahrungen.
4. Rassismuskritische Perspektiven institutionalisieren, Kultur der Rechenschaftspflicht etablieren
Institutioneller Rassismus ist kein individuelles Versagen – sondern strukturell verankert. Deshalb fordern wir verpflichtende Module zu Rassismuskritik und Diskriminierungssensibilität in der Ausbildung von Polizei, Justiz und Verwaltung.Nur durch eine Kultur der institutionellen Verantwortung und eine professionelle, reflektierte Haltung kann das Vertrauen marginalisierter Gruppen in staatliche Institutionen wiederhergestellt werden.
5. Studien zu Diskriminierung anwenden und Polizeiforschung stärken
Umfassende, wissenschaftlich fundierte Studien zu institutionellen Diskriminierungsrisiken in der Polizeiarbeit, zu strukturellem Rassismus, zu konkreten Rassismus- und Diskriminierungserfahren liegen inzwischen vor. Polizeiliches Handeln muss nun systematisch mit den Erkenntnissen dieser Studien in Einklang gebracht werden und weiter durch Forschung begleitet werden. Der Umgang mit polizeilichen Datensystemen, der Einzug von KI in die Polizeiarbeit und damit verbunden die Frage diskriminierungssensibler Algorithmen sind nur zwei weitere Herausforderungen. Hierfür fordern wir eine eigenständige Forschungsstelle, die dauerhaft Polizeipraxis erforscht und Polizeiarbeit auf diese Weise unabhängig begleitet
6. Schutz, Sichtbarkeit und Förderung marginalisierter Perspektiven
Die Erfahrungen von Schwarzen, Indigenen und People of Color (BIPoC) müssen verstärkt sichtbarer Teil der politischen Debatte werden. Schutzmaßnahmen für marginalisierte Gruppen dürfen nicht nur symbolisch existieren, sondern müssen konsequent umgesetzt und gefördert werden. Wir fordern die Anerkennung und Unterstützung gemeinschaftsbasierter Schutzstrukturen, die von BIPoC selbst getragen werden – in Politik, Gesellschaft und Verwaltung. Nur durch gezielte Förderung, politische Repräsentanz und strukturelle Anerkennung kann der Schutz marginalisierter Gruppen nachhaltig sichergestellt werden.
7. Verbindliche Grundlagen für den Einsatz von Bodycams
Wir fordern einen bundesweit einheitlichen, gesetzlich verankerten Umgang mit Bodycams auf breiter, wissenschaftlicher Grundlage. Bodycams sollen situationsangemessen automatisch aktiviert werden, um eine lückenlose Dokumentation von Einsätzen zu gewährleisten. So bedarf es zuvorderst einer automatisierten Auslösung der Bodycam beim Waffeneinsatz, darüber müssen Bodycams beim Einsatz unmittelbaren Zwangs ebenso ausgelöst werden wie auch auf Verlangen Betroffener. Auch hier braucht es mehr Begleitforschung, zugleich einer Stärkung der Aus- und Weiterbildung kommunikativer Begleitung der Nutzung von Bodycams. Zudem müssen Bodycams vor Manipulationen und dem unberechtigten Zugriff Dritter geschützt und mögliche Verstöße deutlich sanktioniert werden.
8. Den Kulturwandel in der Polizei stärken
Polizei wird jünger, weiblicher, diverser. Diesen Prozess wollen wir unterstützen. Gleiches gilt für die Demokratiearbeit innerhalb der Polizei. Die Stärkung von demokratischer Resilienz ist der beste Schutz für und durch Polizei, politische Bildung, Erinnerungsarbeit, der kritische und offene Austausch mit der Zivilgesellschaft der richtige Weg.