Nitrat im Grundwasser aus Tierhaltung stand bisher in der niedersächsischen Diskussion an erster Stelle, denn in über 60 Prozent der niedersächsischen Grundwasserkörper werden zu hohe Nitratwerte gemessen. Nicht genug Beachtung findet aber bisher die Tatsache, dass unser Grund- und Trinkwasser auch aus anderen Quellen bedroht wird. Zu nennen sind Cadmiumeinträge durch Mineraldüngung, Schadstoffeinträge durch Klärschlammausbringung, hormonaktive Substanzen, Arzneimittelrückstände, Havarien bei Biogasanlagen/Güllebehältern, andere Havarien, undichte Kanäle, Altlasten. Überragende Bedeutung kommt dabei den Pestizidrückständen im Grundwasser zu – längst nachgewiesen, jetzt in der ganzen Dimension der Belastung öffentlich dargestellt:
Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) hat seine Grundwassermessstellen nach Rückständen von Pflanzenschutzmitteln untersucht und Ergebnisse der letzten Jahre von 1989 bis 2013 vorgelegt. Das Ergebnis ist alarmierend und zwingt zum Handeln.
In 529 der insgesamt 1.180 untersuchten Grundwassermessstellen hat das NLWKN Reste von Pflanzenschutzmitteln (PSM) und/oder deren Metabolite festgestellt.
(Metabolite sind Abbauprodukte der PSM. Bisher sind die meisten von ihnen als nicht relevant eingestuft, da sie nicht mehr die gleiche Wirkung haben wie ihre Ursprungs-PSMs. Auf sonstige gesundheits- oder umweltschädigende Wirkungen wurden sie bisher nicht getestet.)
Damit wird das Ziel der Wasserrahmenrichtlinie, bis Ende 2015 einen guten chemischen Zustand aller Grundwasserkörper zu erreichen, auch durch diese Belastung mit Pflanzenschutzmitteln auf 45% der Landesfläche nicht erreicht.
Erschreckend ist dabei die Tatsache, dass Mittel gefunden wurden, die bereits seit gut 30 Jahren verboten sind. Auch wenn die Analysemöglichkeiten sich im Laufe der Jahre verbessert haben und nun Stoffe gefunden werden, die früher unentdeckt geblieben sind, müssen wir daraus lernen, dass sich die früher einmal bescheinigte Unbedenklichkeit vieler Pestizide heute ganz anders darstellt als vor Jahrzehnten angenommen. Für die Zukunft müssen wir viel vorsichtiger damit umgehen!
Eine Sanierung des Grundwassers ist, wenn überhaupt, nur mit großem finanziellen und technischen Aufwand und in langen Zeiträumen möglich. Die konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips ist deshalb von ganz besonderer Bedeutung. Denn was einmal im Boden ist, kann niemand zurückholen. So sind in den Bodenschichten schon weitere Frachten Richtung Grundwasser unterwegs, die nicht bekannt sind.
Umso wichtiger ist es nun, Vorsorge für die Zukunft zu treffen!
Rund 44.000 Tonnen Pflanzenschutzmittelwirkstoffe wurden im Jahre 2013 in Deutschland abgesetzt. Insgesamt ist der Pflanzenschutzmittelabsatz in den letzten zehn Jahren um ca. 50% gestiegen – obwohl die Wirkstoffe effizienter geworden sind, und nun kleinere Mengen ausreichend sein sollten. Dahinter stehen nicht zuletzt die zunehmenden Resistenzen von Beikräutern, auf die mit immer größeren Mengen stärkerer Herbizide reagiert wird.
Die Anwendung der Pflanzenschutzmittel ist zwar im Pflanzenschutzgesetz restriktiv geregelt. Aber dessen unbestimmte Rechtsbegriffe machen eine Umsetzung schwierig. So sind die Verpflichtungen zu „guter fachlicher Praxis“ und zu „Integriertem Pflanzenschutz“ zwar aufgeführt. Da aber entsprechende messbare Indikatoren im Gesetz fehlen und eine Nichteinhaltung nicht bußgeldbewehrt ist, ist deren Einforderung fast nicht möglich.
Einträge vom PSM stammen neben der Landwirtschaft auch aus dem Einsatz in Kleingärten, auf privaten Grundstücken, auf kommunalen Flächen, auf Friedhöfen, auf Flächen der BAB und Anlagen der DB, auf Industriearealen, auf Anlagen der Binnenschifffahrt und der Häfen. Eine genaue Quantifizierung ist zur Zeit nicht möglich, da die verkauften Mengen nicht erfasst werden und die Wassermessnetze nicht auf diese Eintragspfade ausgerichtet sind.
Nicht nur bei der Anwendung, auch bei der Zulassung der Pflanzenschutzmittel besteht Handlungsbedarf. Bei der Zulassung ist dem vorsorgenden Gesundheitsschutz, dem Gewässer- und Bodenschutz und dem Erhalt der biologischen Vielfalt höchste Priorität einzuräumen.
Dem vorsorgenden Gesundheitsschutz ist insbesondere bei der Zulassung von Wirkstoffen, die störend in das menschliche Hormonsystem eingreifen können und die menschliche Gesundheit massiv schädigen können (endokrine Disruptoren), Rechnung zu tragen. Die zulassungsrelevante Definition dieser Stoffe, die das EU-Parlament seit längerem fordert, ist immer noch nicht erfolgt.
Hierfür müssen auf Bundes- und EU-Ebene die Zulassungsbestimmungen für die Pflanzenschutzmittel entsprechend geändert werden – in der Folge auch die Bestimmungen für deren Einsatz.
Vor diesem Hintergrund setzen sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen dafür ein:
- dass das Vorsorgeprinzip bei der Zulassung und Anwendung der Pestizide zugrunde gelegt wird. Die Gesundheit der Menschen muss absoluten Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen der chemischen Industrie, der Landwirtschaft und des Handels haben,
- dass unverzüglich die zuständigen Behörden mit der Testung der bisher in Gewässern gefundenen PSM-Metaboliten auf Gesundheits- und Umweltgefährdungspotential beauftragt werden,
- dass die Zulassungspraxis der EU dahingehend geändert wird, dass nicht Firmen allein die Untersuchungsergebnisse liefern dürfen, sondern unabhängige Untersuchungsanstalten die Prüfung der Mittel vornehmen muss.
- dass die Ziele der Agrarforschung ausgerichtet werden auf praxistauglicher Alternativen zum Pestizideinsatz und ihre Erkenntnisse schnell in die Praxis umgesetzt werden. Die Ursachen des steigenden Pflanzenschutzmitteleinsatzes müssen untersucht werden, um schnell Lösungsansätze zu finden. Dafür müssen öffentliche Mittel bereitgestellt werden,
- dass eine EU-weite Definition und restriktive Zulassungs-Kriterien für die hormonell wirksamen Substanzen geschaffen werden, damit diese Stoffe aus dem Verkehr gezogen werden können und so mögliche irreversible Schäden für Umwelt und Gesundheit ausgeschlossen werden,
- dass dem Herbizid-Wirkstoff Glyphosat die weitere Zulassung versagt wird. Den Hinweisen der Weltgesundheitsorganisation, dieser Stoffe sei beim Menschen wahrscheinlich krebserregend und erbgutschädigend, soll weiter nachgegangen werden,
- dass für Herbizide auf Nichtkulturflächen keine weiteren Ausnahmegeneh-migungen erteilt werden und dass jeder Pestizideinsatz ohne Sachkundenachweis untersagt wird,
- dass eine nachhaltige Landwirtschaft definiert wird, die die Vorgaben des Integrierten Pflanzenschutzes künftig als gute fachliche Praxis bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln verbindlich einhält,
- dass die Beratung, durchgeführt von unabhängigen Beratern, die Grundsätze einer nachhaltigen Landwirtschaft vermittelt,
- dass der Landwirtschaftsminister auf der Bundesebene darauf hinwirkt, dass die veralteten, schwammigen Formulierungen der „guten fachlichen Praxis“ zeitgemäß und klar definiert werden (§ 5Bundesnaturschutzgesetz, § 17 Bundesbodenschutzgesetz, § 3 Pflanzenschutzgesetz) und durch ein Gesetz dafür zu sorgen, dass ein Verstoß dagegen strafbewehrt ist.
Wir wissen, dass diese Probleme auf vielen Ebenen angegangen und gelöst werden müssen. Wir fordern daher, dass jede zuständige Behörde des Landes, des Bundes und der EU sich ernsthaft mit der Problematik des Pestizideintrages ins Grundwasser beschäftigt und ihren eigenen Beitrag dazu leistet, diese Einträge zu reduzieren.
Niemand kann heute noch sagen, er hätte es nicht gewusst. Die Studie des NLWKN zeigt uns nicht nur die Grundwassereinträge der Vergangenheit auf, die wir nicht mehr rückgängig machen können. Sie vermittelt uns auch eine Vorstellung davon, was bereits im Boden unterwegs ist, ohne dass wir daran (mit heutigen Mitteln) noch etwas ändern können.
Ändern können wir aber die zukünftige Zulassung und Ausbringung dieser Schadstoffe!
Wir fordern neue Wege für eine Landwirtschaft ohne den bisherigen Pestizideinsatz.