Die Lage in Nicaragua ist dramatisch: Seit April 2018 protestieren große Teile der Bevölkerung Nicaraguas gegen die Regierung von Präsident Daniel Ortega und seiner Ehefrau Rosario Murillo, die durch gefälschten Wahlen 2017 zur Vizepräsidentin wurde. Die friedliche Revolte von Studierenden, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und in zunehmendem Maße auch der Bürgerinnen und Bürger wurde, je mehr daran teilnahmen mit umso heftigerer staatlicher Gewalt beantwortet. Die Regierung Ortega hat hierbei in den letzten Monaten entscheidend zu einer Eskalation beigetragen, die in der deutschen Öffentlichkeit nur wenig wahrgenommen wurde.
Viele Grundrechte wie das der Pressefreiheit, der freien Meinungsäußerung, des Demonstrationsrechts sowie des Rechts auf einen fairen Prozess wurden von der Regierung Ortega deutlich eingeschränkt. Nichtregierungsorganisationen und die Presse stehen unter Druck und können kaum frei arbeiten, die Büros von lokalen NGOs und regierungskritischen Medien wurden im Dezember durch Razzien verwüstet1. Präsident Ortega hat seit Monaten den Boden der demokratischen nicaraguanischen Verfassung verlassen.
Die Forderungen nach sozialen Reformen, der Bekämpfung der Korruption, der Einhaltung der Umweltschutzgesetze in den Naturreservaten, der Achtung der Menschenrechte und die Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit und mehr Demokratie wurden zunächst mit Repressionen, später mit Gewalt mittels Knüppeln und Gummigeschossen beantwortet. Bei den Demonstrationen von Hundertausenden im Mai 2018 wurde von Paramilitärs in die Menge geschossen, die Zahl der Toten ist seit Mai letzten Jahres gestiegen.
Die Demonstrierenden und ihre Angehörigen leiden seit Monaten extrem unter den massiven Repressionen wie Verschleppungen und Entführungen. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen verfolgt, verhaftet, foltert und ermordet der Staat die Bürgerinnen und Bürger seines Landes.
Polizei und paramilitärische Gruppen erschossen und töteten bisher 500 Menschen, während Tausende schwer verletzt wurden2. Noch immer läuft eine Welle von politisch motivierten Verhaftungen von inzwischen über 800 Personen. Diese politischen Gefangenen werden unter unwürdigen Bedingungen im Kerker festgehalten und wegen angeblicher „terroristischer Aktionen“ auf Basis gefälschter Zeugenaussagen mit fadenscheinigen Anklagen überzogen ohne ihre gesetzlich garantierten Verteidigungsrechte wahrnehmen zu können3. Bereits das Singen der Nationalhymne und das Tragen der blauweißen Nationalfahne als Symbol der Proteste wird verfolgt.
Die Unterdrückung der Zivilgesellschaft reicht von der Verfolgung von Student*innen und Campesinos, NGOs, Menschenrechtsorganisationen, Journalist*innen, bis zur Kirche und medizinischen Mitarbeiter*innen, die es gewagt hatten, verletzte Demonstrant*innen zu behandeln. Schätzungsweise mindestens 55.000 Menschen sind bislang ins benachbarte Costa Rica geflohen (ACNUR 19.04.2019) und leben dort unter meist prekären Bedingungen. Hunderte von Oppositionellen, oft selbst ehemalige Kämpfer und Anhänger der sandinistischen Revolution von 1979 leben seit Monaten im Untergrund.
Der nationale Dialog wurde von der Regierung unterbrochen, und die katholische Kirche, die eine wichtige Vermittlerrolle hatte, wurde verleumdet, belagert und unter Druck gesetzt. Die Regierung hat im Januar 2019 wieder unabhängige Medieneinrichtungen geschlossen und Online-Medien zensiert, sie wirft Journalist*innen allein für ihre unzensierte Berichterstattung zu den Ereignissen ins Gefängnis. Zuletzt wurde zahlreichen NGO-Organisationen die Rechtsfähigkeit entzogen. Die einstige Revolutionspartei FSLN hat ihren emanzipatorischen Charakter verloren, und Präsident Daniel Ortega und seine Gattin haben das Land erneut in eine Diktatur gestürzt.
Der erneute Dialogversuch des Dachverbands der Opposition “Alianza Civica Azul y Blanco” mit der Regierung ist im März 2019 gescheitert, weil die Regierung keinerlei Gesprächsbereitschaft erkennen ließ über die grundlegenden Forderungen zur Freilassung der über 800 politischen Gefangenen, einem Ende der Repression durch Polizei und Paramilitärs, dem bürgerlichen Recht auf Versammlungsfreiheit und einer Erlaubnis zur Rückkehr der nicaraguanischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen (z.B. der UNO, OEA).
Unsere Forderungen:
Wir fordern die grüne Bundestagsfraktion auf, die umfangreiche Resolution des Europäischen Parlaments
vom 14.März 2019 (http://europarl.europa.eu; RC-B8_0165/2019) mit einem Entschließungsantrag zu unterstützen und die Bundesregierung zum entsprechenden Handeln gemeinsam mit den europäischen Regierungen aufzufordern. Die Regierung Nicaraguas muss alle politischen Gefangenen im Land freilassen, Presse- und Versammlungsfreiheit und die übrigen demokratischen Bürger*innen- und Menschenrechte wiederherstellen und die paramilitärischen Kräfte entwaffnen. Bei Nicht-Erfüllung müssen in Abstimmung mit den EU-Partnern Sanktionen gegen die verantwortlichen nicaraguanischen Regierungsvertreter*innen erlassen werden, insbesondere Einreiseverbote für den Schengen-Raum. Auch sind dann die beträchtlichen ausländischen Vermögenswerte in der EU einzufrieren. Außerdem soll Nicaragua bis zur Wiederherstellung der Demokratie und Menschenrechte im Lande von den EU-Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Zentralamerika ausgeschlossen werden.Auch muss die Bundesregierung zu Gesprächen zur politischen Unterstützung der zivilen Opposition und zur Unterstützung der Geflüchteten und der Schwerverletzten ohne ausreichende medizinische Versorgung aufgefordert werden.Darüber hinaus soll die Bundesregierung aufgefordert werden, darauf hinzuwirken, dass die gesamte technische und finanzielle Zusammenarbeit Deutschlands und der EU mit der nicaraguanischen Regierung ausgesetzt wird, bis rechtsstaatliche Verhältnisse und die verfassungsmäßige Ordnung wiederhergestellt sind.
Wir fordern darüber hinaus die bündnisgrünen Fraktionen in Bund und Europa auf:
die Arbeit des Europäischen Parlaments, zu Nicaragua zu unterstützen und an künftigen Delegationsreisen mit Vertreter*innen der grünen Fraktionen aktiv teilzunehmen und diese parlamentarischen Aktivitäten zum Schutz der Menschen- und Bürgerrechte aktiv voranzutreiben.
die Öffentlichkeit über die Vorgänge in Nicaragua zu informieren und Stellung zu beziehen.
Wir sind solidarisch mit den Menschen in Nicaragua, die sich für ein friedliches, demokratisches und solidarisches Nicaragua einsetzen.
1 Neue Züricher Zeitung Nicaragua verweist Menschenrechtskommission des Landes vom 08.12.2018, url: https://www.nzz.ch/international/nicaragua-verweist-menschenrechtskommission-des-landes-ld.1446465?fbclid=IwAR1Zo4LbpTyjQifq1g8DjwylVKIoB0Oe2uBpD3t8VTbM0do8kGylvtEy1lQ
Ralf Leonhardt, Rache in Etappen, Die Tageszeitung vom 17.12.2018; https://www.taz.de/Kommentar-Dissidenten-in-Nicaragua/!5559035/?fbclid=IwAR24xGzxZBgueYwSmFUvexDPynOEfN4q6awhw4k_iPtVKc6F0qE5cFq-Oak
2 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.10.2018; url: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/nicaragua-schon-mehr-als-500-tote-seit-beginn-der-proteste-15850761.html
3 Ralf Leonhardt: Im Hochsicherheitsknast Ortegas, die Tageszeitung vom 09.09.2018; url: http://www.taz.de/!5531361/