Durch die zunehmenden Auswirkungen der Klimakrise auf die Landwirtschaft ist die Debatte um ihre Zukunft entbrannt. Als Leidtragende und Mitverursacherin dieser Krise muss die Landwirtschaft nicht nur Antworten auf den Klimawandel finden, sondern sich auch Herausforderungen wie zu hohem Ressourcenverbrauch, Kampf um Fläche und Biodiversitätsschwund stellen – und dies bei einer wachsenden Weltbevölkerung. Wir GRÜNE stehen für eine bäuerliche und ökologisch nachhaltig wirtschaftende Landwirtschaft ohne Massentierhaltung, geschädigte Böden und verschmutztes Grund- und Oberflächenwasser. Wir fordern, dass öffentliches Geld zum Schutz dieser gemeinsamen Güter und zum Stopp des Artenschwunds eingesetzt wird. Bäuer*innen müssen ein faires Einkommen erwirtschaften können, ohne Natur und Umwelt zu zerstören. Agrarexporte in Drittländer, insbesondere in Länder des globalen Südens, lindern keinen Hunger. Denn Armut und Hunger entstehen, weil der Zugang zu Land und Wasser ungleich verteilt ist und regionale Märkte im globalen Süden häufig durch Dumpingpreise aus der EU zerstört werden.
Stattdessen fordern wir die Förderung agrarökologischer Anbaumethoden und Techniken sowie den freien Zugang zu samenfestem und nachbaufähigem Saatgut. Immer wieder verspricht die Agro-Tech-Lobby technische Lösungen für die komplexen Problemlagen der Gegenwart. Besonders große Heilsversprechen wurden bei der Zulassung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) gemacht. Diese werden seit 1996 kommerziell gehandelt und angebaut. Im Lauf der Jahre zeigte sich, dass die Konzerne weder die Probleme der Dürre, Versalzung und Bodenunfruchtbarkeit lösen konnten – global werden fast ausschließlich pestizid- und insektizidresistente Soja-, Mais-, Raps- und Baumwollsorten angebaut – noch das Versprechen der Ertragssteigerung durch Gentechnik eingelöst wurde. Statt weniger Pestizideinsatz gibt es mehr pestizidresistente Wildpflanzen und Insekten. Dieses System führt zu einer immer stärkeren Intensivierung der Landwirtschaft, zu Monokulturen und höherem Pestizideinsatz. Durch die Profitintressen der Agrarkonzerne und die daraus resultierenden Züchtungsschwerpunkte wurden nicht nur die Versprechen nicht eingehalten, sondern vielmehr zementierte sich die weiter zunehmende Ungleichheit im Agrarsystem. Die Folgen sind hohe Umweltbelastungen, ein erschreckender Schwund an Biodiversität und eine massive Abhängigkeit der Erzeuger*innen von Großkonzernen. Die sozialen Folgen für Bäuer*innen und ihre Familien sind insbesondere im globalen Süden verheerend.
Seit einigen Jahren sorgen neue Technologien für Furore in der Wissenschaft, die als Genome Editing zusammengefasst werden. Eine gezielte Veränderung in der DNA- Sequenz wird durch das Einbringen von Endonukleasen in die Zelle erwirkt: Diese induzieren einen Doppelstrangbruch, der im Folgenden genutzt wird, um mithilfe von zelleigenen Reparaturmechanismen Gen-Inaktivierungen, zielgerichtete Mutationen oder das Einfügen von DNA zu vollziehen. Diese neue Technologie weckt nicht nur das Forschungsinteresse, sondern auch Begehrlichkeiten der Agro-Tech- Industrie: Endlich, so wird versprochen, könne man den Ertrag steigern, den Einsatz von Pestiziden verringern und den Hunger durch trockenheitsresistente Pflanzen besiegen. Das Problem aus Sicht der Industrie: diese Pflanzen müssen als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden.
Das zentrale Argument der Agro-Tech-Lobby gegen die Regulierung nach GVO- Richtlinie ist die angebliche Nichtunterscheidbarkeit von Genome Editing- Verfahren gegenüber konventionellen Züchtungen oder durch Mutagenese hervorgerufene Veränderungen genetischer Eigenschaften. Von dieser Kommunikationsstrategie sind aber sowohl die Befürworter*innen der neuen Gentechnik in der Landwirtschaft als auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit inzwischen abgerückt. Die Detektierbarkeit von geneditierten Produkten ist vergleichbar mit der Detektierbarkeit klassischer GVOs. (s. Frontiers in Bioengineering and Biotechnology: Duensing et al., 18.06.2018, https://doi.org/10.3389/fbioe.2018.00079 ) Selbst wenn geneditierte Produkte nicht unterscheidbar sind, was abhängig vom Produkt nicht ausgeschlossen ist, müssen immer noch rechtliche Kontrollmaßnahmen eingeführt werden. Niedersachsen ist unter der rot-grünen Landesregierung dem Bündnis gentechnikfreier Regionen in Europa beigetreten und hat sich im Bundesrat für die Einbeziehung der neuen Verfahren wie CRISPR/Cas9 in das Gentechnikrecht ausgesprochen. Wir GRÜNE in Niedersachsen begrüßen daher, dass der Europäische Gerichtshof aufgrund einer Klage von französischen Bauern- und Ökoverbänden klargestellt hat, dass auch Genome Editing-Verfahren wie CRISPR/Cas9 Gentechnik im Sinne der EU-Richtlinie sind. Bevor so manipulierte Pflanzen in die Umwelt kommen, müssen die Folgen der Freisetzung umfassend geprüft werden. Die Nachvollziehbarkeit im Freilandanbau muss gewährleistet sein. Auch müssen gentechnisch veränderten Lebensmittel gekennzeichnet werden. Da durch Genome Editing manipulierte Pflanzen nicht aus dem Ökosystem rückholbar sind, entspricht dies juristisch und wissenschaftlich dem in der EU geltenden Vorsorgeprinzip. Ob Kontaminiertes Saatgut, Pollenflug, Insekten, Vögel, landwirtschaftliche Maschinen oder Transporte: Die Verbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen ist im Ökosystem kaum zu kontrollieren. Insbesondere Biobäuer*innen sind durch die Nulltoleranz von gentechnischen Erzeugnissen in ihren Produkten einem hohen wirtschaftlichen Risiko durch eine unkontrollierte Verbreitung ausgesetzt.
Dieser Antrag spricht sich für die Regulierung der neuen Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas9 gemäß EuGH-Urteil aus. Er richtet sich nicht gegen die Forschungsfreiheit. Wissenschaftler*innen werden durch das EuGH-Urteil in der Grundlagenforschung nicht behindert, eine Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen ist gemäß der GVO-Richtlinie möglich. BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Niedersachsen begrüßen es, wenn von Wissenschaftler*innen kritisch an neuen gentechnischen Methoden geforscht wird. Dazu muss sichergestellt werden, dass keine Partikularinteressen bedient und die Ergebnisse öffentlich publiziert werden.
In Deutschland wird das Potential agrarökologischer Methoden und deren Weiterentwicklung im Kampf gegen Klimawandel, Krankheiten, Trockenheit, Vernässung oder Versalzung nur mit einem Bruchteil an Forschungsförderung bedacht verglichen mit den Geldern, die in (gen)technische Lösungen fließen. Dabei sind die wissenschaftlichen Ergebnisse eindeutig: Agrarökologischer Methoden sind stressresistenter als Pflanzen des vorherrschenden Agrarsystems. Bei ungewöhnlicher Trockenheit oder Dauerregen sinken die Erträge weniger stark, es gibt weniger Ausfälle durch Krankheiten und die Bio-Bäuer*innen haben ein stabileres Einkommen. Gerade im Kampf gegen Dürreresistenzen haben herkömmliche Züchtungen gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen die Nase vorn. Deswegen müssen klassische Züchtungen und der Anbau von neuen und alten Sorten, Linien und Populationen im agrarökologischen Zusammenhang und unter landwirtschaftlichen Praxisbedingungen wesentlich stärker gefördert werden. Jegliche Patente auf Leben, damit auf Pflanzen und/oder auf Teile von Pflanzen, lehnen wir ab. Bei der aktuell geführten Debatte um die Deklarierung der neuen Gentechnik als Züchtung geht es den Agrarkonzernenum Deregulierung, das Aufweichen des europäischen Vorsorgeprinzips sowie geringere Verbraucher*innentransparenz. Es geht ihnen um Marktmacht und um den Ausbau eines Systems, welches einer bäuerlichen Landwirtschaft und unseren GRÜNEN agrarökologischen Grundsätzen widerspricht. Wir GRÜNE fordern daher: Die gentechnikfreie Landwirtschaft muss möglich bleiben, Verbraucher*innen müssen Wahlfreiheit haben. Eine soziale, ökologisch verträgliche und tiergerechte Landwirtschaft muss gestärkt werden.
Wir GRÜNE in Niedersachsen fordern daher:
Regulierung: Das EuGH-Urteil muss konsequent umgesetzt werden. Jede Form des Genome Editing muss dem Gentechnikrecht in Deutschland unterliegen. Das Vorsorgeprinzip muss gelten.
Kennzeichnung: Verbraucher*innen müssen ein Recht darauf haben zu wissen, was drin ist. Denn über 80 Prozent lehnen Gentechnik auf dem Teller ab. Unter Rot-Grün sind viele Betriebe auf gentechnikfreie Fütterung umgestiegen, mit den Umwelt- und Bauernverbänden wurde ein erfolgreiches Weidemilchsiegel etabliert. Inzwischen wird mehr Milch von Kühen verkauft, die gentechnikfreies Futter bekommen, als Milch von Tieren, die GVO-Futter erhalten. Wir fordern daher die Ausweitung der Gentechnik-Kennzeichnung auf tierische Produkte, die mit genverändertem Futter erzeugt wurden.
Förderung nachhaltiger Landwirtschaft: Nachhaltige Landwirtschaftsformen in Niedersachsen muss finanziell und durch Wissenstransfer gestärkt werden.
Forschung: Agrarökologische Methoden müssen stärker in den Forschungsfokus rücken und entsprechend mit öffentlichem Geld gefördert werden. Die Verwendung staatlicher Mittel zur Förderung anwendungsorientierter Gentechnikforschung soll auf Projekte abzielen, die an Pflanzen mit Dürreresistenz, verbesserter Nährstoffaufnahme, verringertem Pflanzenschutzmittelbedarf etc. arbeiten. Ambitionen mittels Gentechnik pestizidresistente Pflanzen zu züchten sehen wir äußerst kritisch.
Sorten- und genetische Vielfalt: Obst-, Gemüse- und Getreidesorten, – linien und –populationen müssen breit zugänglich gemacht, erhalten und weitergezüchtet werden. Saatgut ist Allgemeingut und muss als solches erhalten werden. Deswegen muss der Zugang und die freie Nutzung von Sorten, Linien und Populationen sowie genetischen Ressourcen für Züchter*innen und Landwirt*innen zur Erhaltung der genetischen Vielfalt von Landesseite gefördert werden.