Antisemitismus bekämpfen – jüdisches Leben schützen

Beschluss der LDK Wolfsburg 08./09. November 2025

Resolution zum 9. November

„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“ – Primo Levi

86 Jahre nach den Novemberpogromen ist Antisemitismus gesellschaftliche Realität: Er zeigt sich auf vielfältige Weise – laut und gewalttätig, aber auch subtil und schleichend. Er findet sich in rechten, islamistischen und verschwörungsideologischen Milieus ebenso wie in Teilen der politischen Linken. Und er findet mitten in der Gesellschaft statt, in Alltagssprache und vermeintlichen Witzen, in Klischees und Vorurteilen. Das alles sind deutsche Probleme einer deutschen Gesellschaft, die wir gemeinsam erkennen und bekämpfen müssen.

Die Ereignisse der letzten Jahre machen dies deutlich. Anschläge auf Synagogen wie in Oldenburg, antisemitische Hetze auf den Straßen nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, Angriffe auf jüdische Studierende und Lehrende, aber auch Beschädigungen und Bedrohungen gegen Erinnerungsorte wie die Gedenkstätte Bergen-Belsen zeigen: Antisemitismus, egal ob offen, strukturell oder codiert, bedroht jüdisches Leben – auch heute noch. Viele Jüdinnen und Juden leben in ständiger Sorge: um ihre Kinder auf dem Schulweg, um ihre Familien in der Öffentlichkeit, um ihre Gemeinden. Das ist ein unerträglicher Zustand.

Am 9. November 1938 brannten in ganz Deutschland Synagogen, jüdische Geschäfte wurden geplündert, Menschen geschlagen, verschleppt, getötet. Die Reichspogromnacht markierte den Übergang von Diskriminierung, Ausgrenzung und Entrechtung zur systematischen Vernichtung jüdischen Lebens in Europa. Sie war der Auftakt zum beispiellosen Menschheitsverbrechen der Shoah, bei dem Deutsche mehr als sechs Millionen europäische Jüdinnen und Juden ermordet haben.

Auch Sintizze und Romnja, politische Gegner*innen, queere Menschen, Menschen mit Behinderungen und viele andere wurden Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik. Ihr Leid und ihre Ermordung mahnen uns ebenso, jeder Form von Menschenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten.

Aus dieser historischen Schuld erwächst für uns eine unverbrüchliche Verantwortung: Antisemitismus niemals hinzunehmen, jüdisches Leben zu schützen und für die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus einzustehen. “Nie wieder” ist kein Satz aus der Vergangenheit, sondern ein dauerhafter Auftrag.Nie wieder‘ darf kein exklusives Versprechen sein. Es gilt für alle Menschen, überall auf der Welt. Wer sich diesem Satz verpflichtet fühlt, muss Gewalt, Vertreibung und Entmenschlichung in jeder Form entgegentreten – unabhängig davon, gegen wen sie sich richtet.

Zugleich tragen wir Verantwortung, Antisemitismus in Europa und weltweit zu benennen und ihm entgegenzutreten. Dies gilt in allen gesellschaftlichen und politischen Kontexten – in Organisationen, Medien und öffentlichen Diskursen. Die Würde, Sicherheit und Teilhabe von Jüdinnen und Juden müssen überall geachtet werden, unabhängig von staatlichen oder politischen Konflikten.

Jüdisches Leben in Deutschland und weltweit ist geprägt von großer innerer Vielfalt – religiös, kulturell und politisch. Es umfasst Menschen, die sich säkular oder orthodox verstehen, liberale Gemeinden ebenso wie strenggläubige Strömungen. Diese Meinungsvielfalt ist Ausdruck lebendiger jüdischer Tradition und verdient Respekt.

Im Talmud heißt es (Eruvin 13b): „Diese und jene sind die Worte des lebendigen Gottes.“ Diese Haltung erinnert uns daran, dass Pluralität kein Widerspruch, sondern Stärke ist – im Judentum wie in jeder offenen Gesellschaft. Es steht uns als nichtjüdischer Mehrheitsgesellschaft nicht zu, vorzuschreiben, wie Jüdinnen und Juden ihr Judentum verstehen oder leben. Kritik an der Politik der israelischen Regierung ist legitim und Teil demokratischer Debatten; Antisemitismus beginnt aber auch dort, wo jüdische Menschen und die Bevölkerung Israels kollektiv für Handlungen des Staates verantwortlich gemacht werden.

Antisemitismus ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern bittere Gegenwart. Jüdinnen und Juden werden beleidigt, bedroht und angegriffen. Synagogen, Schulen und jüdische Einrichtungen müssen durch Polizei geschützt werden. Dass jüdisches Leben in Deutschland bis heute Schutz durch Sicherheitskräfte braucht, ist und bleibt eine Schande für unser Land. Antisemitische Stereotype und Feindbilder treten heute in neuen Formen auf: als Relativierung oder Instrumentalisierung der Shoah, als verschwörungsideologische Erzählungen oder auch als Projektion globaler Konflikte auf Jüdinnen und Juden.

Wir GRÜNE Niedersachsen sind antifaschistisch. Für uns ist klar: Der Kampf gegen Antisemitismus ist Teil unseres Selbstverständnisses und unseres politischen Auftrags. Wir bekennen uns dazu, jüdisches Leben in Deutschland nicht nur zu schützen, sichtbar zu machen und zu fördern. Dazu gehören Bildung und Erinnerung: Antisemitismusprävention muss fest im Bildungssystem verankert sein. Jüdisches Leben muss als selbstverständlicher Teil deutscher Geschichte und Gegenwart vermittelt werden. Gedenkstättenarbeit und historisch-politische Bildung müssen gestärkt, Begegnungen ermöglicht und kritische Medienkompetenz gefördert werden.

Antisemitismus darf keinen Platz haben – weder im Alltag noch auf der Bühne. Kulturinstitutionen, Vereine und Initiativen sind gemeinsam mit Vertreter*innen jüdischer Gemeinschaften und anderen Minderheiten- und Interessengruppen gefordert, unter Mitbestimmung der Betroffenen, antisemitismuskritische Leitlinien zu entwickeln und konsequent umzusetzen. Gleichzeitig gilt es, Kunst und Kultur von Jüdinnen und Juden sichtbar zu machen und zu unterstützen.

Jüdische Einrichtungen müssen sicher sein. Dafür braucht es eine verlässliche Finanzierung von Schutzmaßnahmen und die enge Zusammenarbeit von Gemeinden, Ländern und Sicherheitsbehörden. Antisemitische Straftaten müssen konsequent verfolgt und geahndet werden. Unser Rechtsstaat muss zeigen, dass er auf der Seite der Betroffenen steht.

Die rot-grüne Landesregierung hat in diesen Bereichen zurecht Mittel verstetigt und neue Mittel für Sicherheit, Begegnung und Erinnerung sowie demokratischer Bildung bereitgestellt.

Antisemitismus ist aber nicht allein politisch zu besiegen. Wir brauchen Haltung – in Parteien, Vereinen, Schulen, Medien und am Arbeitsplatz. Schweigen und Wegsehen sind keine Option. Jede*r Einzelne ist gefordert, Widerspruch zu leisten, wenn antisemitische Äußerungen fallen.

Unsere Verantwortung endet nicht an den Landesgrenzen. Der Schutz von Jüdinnen und Juden ist Teil der deutschen Staatsräson. Dazu gehört das unverrückbare Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Wir stehen an der Seite Israels in seinem Recht, seine Bürgerinnen und Bürger gegen Terror zu schützen. Und wir stehen an der Seite der israelischen Zivilbevölkerung, die seit Monaten für Frieden und Bürger*innenrechte demonstriert. Zugleich sind wir in der Verantwortung, in Europa und weltweit Antisemitismus zu benennen und ihm entgegenzutreten. Das gilt auch in internationalen Organisationen, in denen Israel einseitig delegitimiert oder dämonisiert wird. „Nie wieder“ gilt universell – für die Würde und Sicherheit von Jüdinnen und Juden überall auf der Welt.

„Nie wieder“ bedeutet heute: Nie wieder Gleichgültigkeit, nie wieder Wegsehen. Nie wieder Hass als Normalität. Unsere wehrhafte Demokratie zeigt sich darin, Minderheiten zu schützen und Vielfalt zu bewahren. Am 9. November gedenken wir der Opfer des Nationalsozialismus und der Reichspogromnacht. Zugleich bekennen wir uns zu unserer Verantwortung: dafür zu sorgen, dass jüdisches Leben in Deutschland eine sichere und selbstverständliche Zukunft hat.

Nie wieder ist jetzt.

Beschluss der LDK Wolfsburg 08./09. November 2025