Für eine weltoffene Gesellschaft – klare Kante gegen demokratie- und menschenfeindliche Bestrebungen – Zivilgesellschaft stärken – Nein zur pseudowissenschaftlichen Extremismusdoktrin
Die Debatten in unserem Land haben sich gedreht. Rechtsextreme Straftaten verzeichnen einen rasanten Anstieg, Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte, auf Zivilgesellschaft und Menschen, die in Vielfalt miteinander leben, nehmen signifikant zu. Islamfeindliche Propaganda und Hetze gegen Schutzsuchende und Migrant*Innen werden durch Stimmungsmache zunehmend öffentlich salonfähig.
Der Verfassungsschutzbericht 2015 macht erneut deutlich vor welche Herausforderung uns verfassungsfeindliche Bestrebungen in dieser Zeit stellen. Die abstrakt hohe Terrorgefahr gibt Menschen zunehmend ein unsicheres Gefühl, die Absagen des Schoduvels in Braunschweig, des Fußballländerspiels in Hannover und auch die Messerattacke eines fünfzehnjährigen Mädchens auf einen Bundespolizisten zeigen ganz plastisch die Gefahren salafistischer Strukturen in Niedersachsen auf. Salafistische Moscheen und ihre Prediger versuchen Jugendliche für ihren menschenfeindlichen Feldzug gegen Andersdenkende zu gewinnen und zu instrumentalisieren.
Gleichzeitig erleben wir eine Entgrenzung zwischen rechtspopulistischen Parteien und Strukturen und der militanten, organisierten rechten Szene. Gewaltbereite Nazis die Seite an Seite mit Rockern, AfDlern und Pegida auf Veranstaltungen stehen und versuchen, ihre demokratiefeindliche und menschenverachtende Propaganda auf dem Rücken der Schutzsuchenden durch das Schüren von Ängsten und das Verbreiten von Unwahrheiten salonfähig zu machen. Während es früher die NPD oder Kameradschaften waren, die sich in einer festen Struktur organisierten, erleben wir heute lose Zusammenschlüsse von Gruppierungen, die in Aktionsbündnissen deutschlandweit versuchen, ihre menschenfeindliche Propaganda durch verschiedenste Aktionsformen auf die Straße zu tragen.
Diese Veränderungen in den Entwicklungen der verfassungsfeindlichen Bestrebungen machen deutlich, wie wichtig es ist, die Lücke in der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit den Phänomenbereichen zur tiefergehenden, sozialwissenschaftlichen Analyse ist. Die Forderung von uns GRÜNEN im Zusammenhang mit der Verfassungsschutzreform auch eine wissenschaftliche Dokumentationsstelle zur Erforschung menschenfeindlicher- und demokratiefeindlicher Bestrebungen ist überfällig. Effektive Handlungsmaßnahmen zu entwickeln funktioniert nur dann, wenn wir auf den Grund der Radikalisierungsprozesse gehen und die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit diesen Erkenntnissen führen.
Wir GRÜNE zeigen klare Kante gegen Demokratie- und Menschenfeindlichkeit. Wir verteidigen unsere offene Gesellschaft. Als Regierungspartei in Niedersachsen haben wir diesbezüglich mit dem neuen Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, der Stärkung der politischen Bildung durch die Wiedereinrichtung der Landeszentrale für politische Bildung, dem Aufbau von landesweiten und spezialisierten Beratungsangeboten für Opfer rechter Gewalt, konsequentes Vorgehen gegen Hate Speech und vielen weiteren Maßnahmen zur Stärkung der aktiven Zivilgesellschaft, die sich vor Ort in Form von Bündnissen gegen Rechts organisieren, beigetragen. Die Stärkung der Zivilgesellschaft und von Prävention ist auch für die Herausforderung der salafistischen Strukturen in Niedersachsen die richtige Antwort. Mit dem Aufbau einer Beratungsstelle zur Prävention neo-salafistischer Radikalisierung in Niedersachsen (beRATen e.V.) sowie der Aufklärungsarbeit an Schulen hat Rot-Grün eine erste landesweite Struktur für jugend- und familienpädagogische Intervention geschaffen. Wir GRÜNE fordern einen weiteren Ausbau der Prävention im Bereich der Radikalisierung junger Menschen, auf die gerade auch salafistische Prediger ihren Fokus legen.
Das reflexhafte Rufen nach mehr Sicherheit und Einschränkung von Freiheit ist keine Lösung. Es setzt weder an der Wurzel an, noch schafft es real mehr Sicherheit, wie uns viele Länder die bereits die Vorratsdatenspeicherung eingeführt haben zeigen. Ganz im Gegenteil: Der Abbau unserer Grundrechte ist eine Gefahr für die Demokratie und Gemeinschaft. Nichts kann unsere Freiheit und Sicherheit so gut schützen, wie eben diese Grundrechte. Demokratie lebt durch angstfreie Meinungsäußerung. Um uns gegen Radikalisierungstendenzen in der Gesellschaft zu stärken, brauchen wir eine freie, demokratische und offene Gesellschaft. Wir brauchen Solidarität und Begegnung statt Misstrauen und Sanktionen. Wir brauchen mehr Mut und Engagement statt Ohnmacht und Resignation. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Angst und Einschüchterungsversuche zu einer Einschränkung unserer Freiheit und Demokratie führen.
Wir GRÜNE sehen den zentralen Ansatz zur effektiven Prävention gegen Radikalisierungstendenzen in Angeboten, die ansetzen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Deshalb streiten wir für eine Stärkung der Jugendhilfe und Jugendarbeit, eine Stärkung von Angeboten der Sozialen Arbeit und eine Gesellschaft, die auf die Teilhabe aller Menschen an unserer Gesellschaft setzt. Gleichzeitig brauchen wir eine konsequente und effektive Intervention vor Ort, wenn Strukturen der Demokratie- und Menschenfeindlichkeit vor Ort auftreten. Vor diesem Hintergrund setzen wir GRÜNE auf eine kraftvolle Beratung und Unterstützung der Kommunen und der Zivilgesellschaft vor Ort. Darüber hinaus bedarf es vor dem Hintergrund der sich wandelnden Strukturen sowohl im Bereich der Neuen Rechten aber auch des erstarkenden Salafismus einen Ausbau der Fort- und Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte, Polizei und Justiz, aber auch kommunalen Verwaltungen.
Gleichzeitig sehen wir den Kampf für unsere offene Gesellschaft und Demokratie sowie gegen demokratie- und menschenfeindliche Bestrebungen und Weltbilder als eine andauernde gesamtgesellschaftliche Herausforderung und uns ist bewusst, dass insbesondere Diskriminierung und Intoleranz kein vereinzeltes Phänomen, sondern tief verwurzelt bis tief in die Mitte unserer Gesellschaft ist. Wir finden menschenverachtende Weltbilder in allen sozialen Schichten unserer Gesellschaft: Unabhängig von Bildungsgrad, Erwerbstätigkeit, Alter, Geschlecht und Religion. Allerdings ist dieses latent schon immer vorhandene Potenzial durch Pegida & AfD nun manifest und in Form von wöchentlichen Aufmärschen und Wahlerfolgen sichtbar geworden. Das gesellschaftliche Klima hat sich verändert. Gerade jetzt kommt es darauf an, dagegen zu halten und unsere vielfältige und offene Gesellschaft zu erhalten. Es ist die Aufgabe aller demokratischen Parteien und auch der zivilgesellschaftlichen Kräfte aufzustehen und bei aller Freude am Streit über die besten Lösungen unsere Lebensweise vor dem gesellschaftlichen Roll-Back zu verteidigen. Wir brauchen keine Tea-Party und keine homophoben, rassistischen, islamfeindlichen, menschenverachtenden Gruppierungen, die Hass sähen. Wir brauchen Begegnungen, Kennenlernen, Nächstenliebe und ein starkes, solidarisches und tolerantes Miteinander in diesem Land. Und diese Lebensweise müssen wir immer wieder offensiv verteidigen.
Der Extremismusbegriff ist ein diffuser und ungenauer Sammelbegriff für diverse Phänomene: Neben Rechtsextremismus werden ebenso „Linksextremismus“ oder auch „Ausländerextremismus“ in einem Atemzug genannt. Dabei handelt es sich hierbei um ganz unterschiedliche Phänomenbereiche, denen auch mit unterschiedlichen Strategien und Ansätzen begegnet werden muss. Diese Gleichsetzungslogik ist daher nicht nur inhaltlich falsch, sondern im Hinblick auf die politische Praxis gefährlich: Die sogenannte Extremismusklausel, die 2011 von der damaligen CDU-Familienministerin Kristina Schröder eingeführt wurde, hat beispielsweise in vielen Gegenden effektive Strukturen der Anti-Nazi-Arbeit zerschlagen und somit die erfolgreiche Arbeit vielerorts geschwächt und zerstört. Zu suggerieren, dass alle Phänomenbereiche von gleicher Qualität und gleicher Struktur sind und ihnen somit auch in gleicher Weise begegnet werden muss, ist eine Form von Gleichsetzung, die kein Problem lösen wird – im Gegenteil, sie verschleiert Gefahren, die von Nazis derzeit für unsere Gesellschaft ausgehen. Es gibt kein Hufeisen und zwei gefährliche Ränder. Es gibt verschiedenste verfassungsfeindliche Gruppierungen in diesem Land, die aus ganz unterschiedlichen Motiven menschenverachtend und demokratiefeindlich agieren. Grüne sollten daher auf den Extremismus-Begriff – und dies gilt in besonderer Weise im Falle von Aufzählung von Extremismen – verzichten. Ferner sollte Demokratie- und Menschenfeindlichen Bestrebungen mit effektiven und individuellen Interventionsstrategien begegnet werden. Den Versuch, emanzipatorische und engagierte, zivilgesellschaftliche Bewegungen über den Extremismusbegriff zu kriminalisieren, lehnen wir GRÜNE ab.
Wir werden auch in Zukunft auf der Straße, im Parlament, am Computer und überall, wo uns demokratie- und menschenfeindliche Bestrebungen begegnen, dagegenhalten. Wir stellen uns an die Seite derjenigen, die sich für unsere Demokratie, Pluralismus und ein weltoffenes Niedersachsen einsetzen.