US-Regierung als auch die Bundesregierung wollen die Verhandlungen zu TTIP noch in diesem Jahr abschließen. Die Zustimmungswerte in der Bevölkerung für TTIP sind dagegen in Deutschland und den USA im Keller. Der Widerstand auf beiden Seiten des Atlantiks wird immer größer. Die Eröffnung der Industriemesse von Barack Obama und Angela Merkel wurde von lauten Protesten eines breiten bunten Bündnisses von Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden, Gewerkschaften, Sozialverbänden, landwirtschaftlichen Organisationen, Kulturinitiativen, entwicklungspolitischen Organisationen und vielen weiteren gesellschaftlichen Gruppen begleitet. 90.000 Bürgerinnen und Bürger haben in Hannover auf der Großdemonstration deutlich ihre Kritik an TTIP und CETA vorgetragen und gefordert, die Abkommen zu stoppen.
Im Zentrum des Protestes stehen die fehlende Transparenz der TTIP- Verhandlungen und eine Verhandlungsagenda, die einseitig auf Deregulierung und Investoren-Schiedsgerichte setzt, zu Lasten von Umwelt, Beschäftigten und Verbraucher*innen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Niedersachsen ist ein aktiver Teil dieser Bewegung, um TTIP und CETA zu stoppen.
Wir bekräftigen und aktualisieren mit diesem Beschluss unsere Positionierung „Gegen Konzernjustiz und das Schleifen von Umwelt- und Sozialstandards – CETA ablehnen!“ von der Landesdelegiertenkonferenz in Stade im Oktober 2014.
Wir stellen fest, dass die öffentliche Kritik langsam Wirkung zeigt. Sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung mussten Fehler eingestehen: Als ersten Schritt eines Entgegenkommens wurden Anfang 2016 Leseräume eingerichtet, in denen Bundestagabgeordnete und die Mitglieder des Bundesrates Einsicht in die konsolidierten Verhandlungstexte nehmen konnten. Doch die Bedingungen der Einsichtnahme sind mangelhaft, und wegen der hohen Geheimhaltungsverpflichtung können die Abgeordneten nicht über ihre gewonnenen Erkenntnisse sprechen. Damit ist ein zentraler Teil ihrer politischen Arbeit behindert. Die angekündigte Transparenzoffensive ist eine Farce.
Keine Klageprivilegien für Konzerne
Die so genannten Investor-Staat-Schiedsgerichte werden immer häufiger von internationalen Konzernen dazu genutzt, Staaten auf milliardenschwere Entschädigungszahlungen zu verklagen. Oft zielen diese Klagen dabei auf Regulierungen zum Umwelt- oder Verbraucher*innenschutz oder auf Regulierungen zu sozialem Ausgleich. Jüngstes Beispiel für diese Gefahr ist die Klage des kanadischen Energiekonzerns TransCanada gegen die USA. Weil die USA aus Umweltschutzgründen den Ausbau der Keystone-Ölpipeline untersagt hatten, legte TransCanada kürzlich eine Klage vor einem Investor-Staat-Schiedsgericht ein und verlangt Schadensersatz in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Niedersachsen halten solche Investor-Staat-Schiedsgerichte für den falschen Weg. Die Praxis der Vergangenheit hat gezeigt, wie missbrauchsanfällig dieses System ist. Hierzu gehören weit interpretierbare und einseitig auslegbare Rechtsbegriffe und hohe Verfahrenskosten, die sich oftmals nur Großkonzerne leisten können. Die mangelnde Transparenz der Verfahren, die fehlende Berufungsinstanz und mangelnde Unabhängigkeit der Richter kommen hinzu.
Zudem ist dieses Instrument nicht nur gefährlich, sondern auch völlig unnötig. Jedem Unternehmen, das sich unfair behandelt fühlt, steht die Möglichkeit offen, gegen eine staatliche Entscheidung vor den nationalen Gerichten Klage einzureichen. Es ist zudem grundsätzlich nicht nachvollziehbar, warum es ein System braucht, das ein exklusives, zusätzliches Klageprivileg einräumt, das nur dem ausländischen Investor, nicht jedoch inländischen Investoren, anderen gesellschaftlichen Gruppen oder dem Staat selbst zur Verfügung steht. Investor-Staat-Schiedsverfahren schaffen eine Parallelstruktur zum nationalen Recht, in dem es weder einen Vorrang des nationalen Rechtsweges gibt noch jemals ein nationales Gericht mit dem Rechtsstreit befasst gewesen sein muss.
Gleichzeitig erhalten ausländische Investoren die Möglichkeit, parallel, sowohl nationale Gerichte als auch internationale Schiedsgerichte mit ein und derselben Klage anzurufen. Das führt in einigen Fällen zu widersprüchlichen Urteilen. Zudem sind die zugrunde liegenden Investitionsschutzverträge einseitig auf den Schutz von Investitionen ausgerichtet, zu Lasten von anderen Rechtsgütern, wie etwa Umweltschutz oder Sozialstandards.
Angesichts der massiven Kritik hat die EU-Kommission vor kurzem mit dem Investment Court System (ICS) einen neuen Vorschlag gemacht, um das öffentlich stark kritisierte ISDS-System zu reformieren. In diesem Vorschlag greift die Kommission zwar einige Verbesserungen auf, etwa die Einführung einer Berufungsinstanz, Vorschläge zur Verbesserung der Transparenz bei Schiedsverfahren und zur transparenteren Besetzung der Schiedsrichter*innen. Doch handelt es sich bei „ICS“ im Kern weiterhin um die alten Schiedsgerichte. Denn der Vorschlag enthält die gleichen Klageprivilegien, die Konzernen auch unter ISDS eingeräumt werden. ICS wäre ebenso außerhalb der nationalen bzw. der EU-Rechtsordnungen. Auch die Klagegründe, die als Basis für Schiedsgerichtsverfahren dienen und oft missbräuchlich interpretiert werden, wie etwa „faire und gerechte Behandlung“ oder „legitime Erwartungen“, stecken genauso im ICS-Vorschlag. Es bleibt bei einer verzerrten Anreizstruktur für Richter, im Zweifel zu Gunsten der Konzerne zu entscheiden. Es bleibt bei einer zu breiten Definition des Investitionsbegriffs. Es bleibt dabei, dass die Regulierungshoheit der Staaten nicht uneingeschränkt gewährleistet wird, sondern nur für „legitime Politikziele“ gewahrt sein soll.
Damit ist das „Investment Court System“ der EU-Kommission – trotz einzelner Verbesserungen – im Kern ISDS nach altem Stil und folglich alter Wein in neuen Schläuchen.
Aus diesem Grunde hilft es auch wenig, dass die EU-Kommission nun angekündigt hat, ihre Reformvorschläge im Rahmen der TTIP Verhandlungen einbringen zu wollen. Zudem ist es auch nicht ausreichend, dass diese Vorstellungen durch Nachverhandlungen Eingang in das bereits ausgehandelte Abkommen zwischen der EU und Kanada – CETA – gefunden haben.
Aus Sicht von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Niedersachsen kann dies kein ausreichender Vorschlag zur Lösung der elementaren Probleme sein, die durch das System der Schiedsgerichte entstehen. Denn im Grundsatz bleibt es trotz einiger Verbesserungen bei den alten Schiedsgerichten mit all den damit verknüpften Problemen. Da die Schiedsgerichte in den Verträgen weder notwendig noch sinnvoll sind und die vielen damit verbundenen Probleme durch Detailreparaturen nicht verbessert werden können, müssen sie konsequenterweise vollkommen aus den Verhandlungen, bzw. Verträgen gestrichen werden.
Neben diesen Ablehnungsgründen stellt sich auch die generelle Frage der Notwendigkeit solcher Schiedsinstanzen, selbst mit Verfahrens-Reformen, wie etwa dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen Investment Court System. Bereits jetzt enthalten rund ein Drittel der bestehenden Investitionsschutzverträge, die Deutschland abgeschlossen hat, keinen Investor-Staat-Schiedsmechanismus. Investitionen in diese Länder sind trotzdem durch den Vertrag besonders geschützt und können beispielsweise durch eine öffentliche Investitionsgarantie abgesichert werden. Wir fordern, alle bisher abgeschlossenen Investitionsschutzverträge mit dem Ziel nachzuverhandeln, die Vereinbarungen zu den Investor-Staat-Schiedsgerichten aus den Verträgen zu entfernen.
Das internationale Investitionsschutzregime muss grundsätzlich reformiert werden. Wir fordern einen multilateralen ständigen Gerichtshof als oberste Instanz nach Ausschöpfung nationaler Rechtswege unter dem Dach der Vereinten Nationen.
Starke Schutzstandards: Ziel statt Zielscheibe moderner Handelspolitik
Mit der gegenseitigen Anerkennung und Harmonisierung von Produktstandards und Regulierungsvorschriften soll der Marktzugang für Produkte und Dienstleistungen erleichtert werden, die unter anderen gesetzlichen Rahmenbedingungen produziert wurden.
Kritisch ist dieses Vorhaben deshalb, weil die Abkommen sehr sensible Bereiche betreffen: europäische und nationale Regelungen im Bereich Verbraucher-, Umwelt-, und Datenschutz, im Lebensmittelrecht, bei Arbeitsrechten, in der Gentechnikgesetzgebung sowie in den Bereichen Gesundheit, Soziales, Kultur und Finanzmarktregulierung. Die EU-Kommission verspricht zwar, die Abkommen würden europäische Standards in sensiblen Bereichen wie Lebensmittelsicherheit oder Verbraucherschutz nicht in Frage stellen. Der vorliegende CETA-Vertragstext sowie die bislang öffentlich bekannten Dokumente aus den TTIP-Verhandlungen sprechen jedoch eine andere Sprache. Zudem ist zu befürchten, dass die Abkommen einen zunehmenden Wettbewerbsdruck schaffen. Der könnte zu einer Verdrängung von Produkten und Dienstleistungen mit hohen Standards durch Produkte, die unter schlechteren und billigeren Standards hergestellten wurden, führen. Verschärfter Wettbewerb zu Lasten der Beschäftigten bzw. der Standards in den genannten Bereichen wäre absolut inakzeptabel.
Auch kommunale Dienstleistungen drohen mit TTIP, CETA und TiSA unter Privatisierungsdruck zu geraten. Die in CETA enthaltenen Negativlisten halten wir für einen falschen und gefährlichen Weg. Bei diesem Ansatz wird alles liberalisiert, was nicht explizit in der Negativliste aufgelistet oder durch komplizierte Ausnahmen geschützt wird. TTIP soll zudem sogenannte Stillstands- und Ratchet-Klauseln enthalten. Stillstands-Klauseln sorgen dafür, dass Dienstleistungen, die in der Vergangenheit liberalisiert wurden, nicht mehr in öffentliche Hand zurückgeführt werden können. Die Ratchet-Klauseln funktionieren ähnlich, denn sie sorgen dafür, dass die Dienstleistungen, die in Zukunft liberalisiert werden sollen, nicht mehr zurückgeführt werden können. Wir finden das falsch und fordern deshalb, auf eine Positivliste zu setzen: Bei diesem Ansatz wird der Spieß umgedreht, alle Dienstleistungen können prinzipiell erst mal auch in öffentlicher Hand bleiben und die Dienstleistungen, die liberalisiert werden sollen, müssen aufgelistet werden. Das dürfen z.B. keine kommunalen Dienstleistungen sein. Für den Ansatz einer Positivliste werden wir weiterhin kämpfen. Die kommunale Daseinsvorsorge darf nicht durch Handelsabkommen geschwächt oder gefährdet werden.
Wir Grüne in Niedersachsen kritisieren die grundsätzliche Ausrichtung der Abkommen: In der Logik von TTIP, CETA und TiSA werden Standards und Regulierungen als Handelshemmnisse betrachtet. Anstatt einen wirksamen Umwelt- und Verbraucherschutz als Ziel der Verhandlungen zu begreifen, machen TTIP, CETA und TiSA ihn zur Zielscheibe. Eine regulatorische Kooperation in dieser Form und eine Marktöffnung für kommunale Dienstleistungen lehnen wir ab.
TTIP, CETA und TiSA stoppen
Der massive Protest gegen TTIP, CETA und TiSA auf beiden Seiten des Atlantiks muss von der EU-Kommission und den Verhandlungspartnern ernst genommen werden. Sie müssen die Verhandlungen stoppen und die EU-Handelsabkommen nach diesen Maßstäben und unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft neu starten. Die vom Rat beschlossenen Mandate für TTIP, CETA und TiSA sowie der vorliegende Vertragstext für CETA weisen in die falsche Richtung. Wir lehnen diese Verhandlungsergebnisse deshalb ab.
CETA und TTIP greifen zudem in die Kompetenzen der Mitgliedsländer und der deutschen Bundesländer ein. Die Bundesländer haben besonders wegen der Selbstverwaltungsrechte der Kommunen eine besondere Schutzverantwortung. Wir setzten uns daher mit Nachdruck dafür ein, dass diese Abkommen als gemischte Abkommen dem Bundestag und Bundesrat zur Entscheidung vorgelegt werden. Wir fordern darüber hinaus die Europäische Kommission auf, diese weitreichenden und gesellschaftlich hoch umstrittenen Abkommen nicht zur vorläufigen Anwendung vorzuschlagen. Zudem fordern wir die Bundesregierung auf, weitere Nachverhandlungen am Vertragstext durchzusetzen. Wir sagen klar: Ein Abkommen, das Sonderklagerechte für ausländische Investoren enthält, das mit regulatorischer Kooperation oder Liberalisierungsklauseln gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten einschränkt, das das Vorsorgeprinzip auch nur indirekt in Frage stellt, das zu einer Absenkung rechtlicher Standards sowie Umwelt-, Verbraucherschutz-, Datenschutz-, Arbeits- oder Sozialstandards führen könnte oder das die Handlungsfreiheit der Kommunen beschränkt, ist für uns absolut inakzeptabel. Der vorliegende Vertragstext von CETA ist für uns im Bundesrat nicht zustimmungsfähig.
Wir GRÜNEN verfügen über unsere Regierungsbeteiligungen in den Ländern im Bundesrat über die Möglichkeit CETA und TTIP zu stoppen. Diese Möglichkeit wollen wir nutzen. Wir fordern einen stärkeren Rahmen für fairen Handel.
Kurswechsel für eine faire Welthandelspolitik
Wir brauchen eine andere Handelspolitik der EU. Aus unserer Sicht muss Handel unbedingt fair ausgestaltet sein. Das heißt, dass Handel dazu beitragen muss, die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Klimakrise, Ressourcenverschwendung, Armut und Hunger, gewalttätige Konflikte und in der Folge die Migration oder Flucht von Millionen Menschen – zu lösen anstatt sie weiter zu verschärfen.
Wir wollen Handelsabkommen, die transparent verhandelt und nach sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Kriterien ausgerichtet sind und die die etablierten demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen nicht in Frage stellen. Handelsabkommen müssen den genannten Maßstäben folgen, dann können sie hilfreich sein. Auch bisherige Abkommen der EU und Deutschlands, sowie weitere derzeit von der EU verhandelte Abkommen müssen diesen Kriterien genügen und entsprechend überprüft werden. Wir fordern eine Positivagenda zur Neubelebung der multilateralen Handelsprozesse. Dabei müssen aus dem Scheitern früherer Versuche im Rahmen der WTO entsprechende Schlüsse gezogen werden. Ungleichgewichte auf Kosten von Entwicklungsländern und das Fehlen ökologischer und sozialer Kriterien müssen dringend korrigiert werden.