Der 24. Februar 2022, der Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, markiert auch ökonomisch eine Zeitenwende. Obwohl das Ende der Verbrennung fossiler Energien bereits vor diesem Datum gesetzlich verankert war, führte das plötzliche Wegbrechen günstiger russischer Gaslieferungen zu einer schweren Energiekrise. Diese Krise war geprägt von massiven Unsicherheiten, zeitweise deutlich höheren Energiepreisen, hoher Inflation und erheblichen Zinssprüngen an den Kapitalmärkten. Für die große Mehrheit der Bürger*innen und unsere Wirtschaft bedeutete dies einen heftigen Einschnitt .Aus der Energiekrise ist eine Wirtschaftskrise entstanden. Deutlicher als in den letzten gut zwei Jahren kann die herausragende Bedeutung der Energieversorgung und die Art der Bereitstellungsweise für unsere Volkswirtschaft, aber auch für den sozialen Frieden und den gesellschaftlichen Zusammenhalt, kaum sichtbar werden. Der vollständige Umbau unserer Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien (Energiewende) ist daher nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch aus ökonomischen und sozialen Gründen alternativlos.
Der Erfolg und die Akzeptanz dieser Energiewende werden vor allem vor Ort, in den Kommunen, entschieden. Dafür sind regionale Wertschöpfungsketten von zentraler Bedeutung. Sie stärken die Wirtschaftskraft der Kommunen, insbesondere in ländlichen Gebieten. Wir Grüne unterstützen die regionale Beteiligung der Kommunen an der Wertschöpfung durch regionale Erneuerbare-Energien-Projekte. Durch die aktive Beteiligung an Energieprojekten wie Solarparks, Windkraftanlagen, Wärmenetzen oder grünen Wasserstoffprojekten können Kommunen und Bürger*innen eine zentrale Rolle in der Energiewende und bei der nachhaltigen Entwicklung ihrer Region übernehmen.
Regional, preisgünstig und nachhaltig
Niedersachsen ist das Land der Erneuerbaren Energien. 2023 wurde in Niedersachsen erstmals mehr Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt als insgesamt verbraucht (100,6 %). Und wir wollen noch mehr Strom aus Sonne und Wind für die Elektromobilität, Wärmewende und für die allgemeine Senkung der Strompreise. Denn die Erneuerbaren Energien sind die Preissenker beim Strom gegenüber den dreckigen Kohlekraftwerken, teuren Gaskraftwerken oder den Ölheizungen. Die Investitionen vor allem in Windkraft- und Solaranlagen, sowie deren Betrieb und Wartung haben im vergangenen Jahr direkt knapp 70 Mrd. € zu unserer Wirtschaftsleistung beigetragen. Davon profitieren vor allem ländliche Räume: Auf rund 1,1 Mrd. € beziffert das Beratungsunternehmen Deutsche Windguard die regionale Wertschöpfung durch den Ausbau der Windenergie allein im Landkreis Rotenburg. Die Ansiedlung des Batterieherstellers Northvolt bei Heide, das Offshore-Industriezentrum in Cuxhaven, die H2-Region Emsland, das Salcos-Programm der Salzgitter AG zur Erzeugung klimaneutralen Stahls und die geplante GigaWatt-Solarfabrik in Wilhelmshaven sind Beispiele dafür: Wo die Energiewende vorangetrieben wird, entstehen dauerhaft gute Arbeitsplätze. Das zeigt: Erneuerbare sind Motor der regionalen Entwicklung.
Die regionale Wertschöpfung durch Erneuerbare Energien bringt weitreichende positive Effekte für die Kommunen vor Ort. Auch preislich sind die Erneuerbaren Energien inzwischen ganz weit vorne: Nach Angaben des Fraunhofer ISE sind Onshore-Windenergieanlagen mit Kosten von 4,3 bis 6,9 €Cent/kWh und Freiflächen-PV-Anlagen mit Kosten von 4,1 bis 9,2 €Cent/kWh die kostengünstigsten unter allen Kraftwerkstypen. Anderseits liegen Kohlekraftwerke mit etwa 20 Cent/kWh mehr als doppelt so hoch. Jede neue Windkraftanlage, jeder neue Solarpark ist deshalb nicht zuletzt ein wichtiger Beitrag zur Senkung unserer Energiekosten. Durch die Gewinnung „vor der Haustür“ entstehen vielfach auch Arbeitsplätze im Ort und die lokale Wirtschaft wird gestärkt.
Zudem bedeutet der Ausbau der Erneuerbaren Energien eine breite Beteiligung der Bürger*innen und der kleinen und mittelständischen Unternehmen an den Gewinnen: Während die Kohle- und Gaskraftwerke in der Hand weniger Konzerne sind, weisen die erneuerbaren Energien eine breite Eigentümer*innen-Struktur auf: Deutlich über die Hälfte der Windkraft-, Solar- und Biogasanlagen befinden sich im Eigentum von Privatleuten, Landwirt*innen oder örtlichen Gewerbebetrieben. Die großen Energieversorger, die den konventionellen Markt fast vollständig unter sich aufgeteilt haben, spielen mit knapp 6% als Eigentümer*innen von Anlagen zur Erzeugung erneuerbaren Stroms kaum eine Rolle. Die regionale Wertschöpfung durch Erneuerbare Energien stellt sicher, dass ihre Vorteile nicht nur großen Energiekonzernen zugutekommen, sondern auch lokalen Energieunternehmen und der lokalen Bevölkerung. Dies fördert soziale Gerechtigkeit und trägt zu einer faireren Verteilung der Gewinne bei.
Mit dem Niedersächsischen Windenergieflächenbedarfsgesetzes (NWindG) weisen wir nicht nur mindestens 2,2 Prozent der Landesfläche für die Windenergie aus, sondern schaffen durch die Akzeptanzabgabe von 0,2 Cent/kWh für Wind- und Freiflächen-Solarenergie eine regelmäßige Einnahme und Wertschöpfung in den Kommunen, die für Naturschutz, soziale Zwecke oder Kultur ausgegeben werden kann. Das sind ca. 30.000 Euro pro Windrad und Jahr für die Kommunen. Mit 20 % Anteil der EE-Anlagen in Bürger*innenhand, etwa über Bürgerenergiegenossenschaften, oder einer direkten Ausschüttung an die Nachbarschaft der Anlagen von weiteren 0,1 Cent/kWh durch niedrige Strompreise oder Energiegeld pro Kopf schaffen wir reale Gewinne für die Menschen an den Orten wo die Erneuerbaren Energien gewonnen werden.
Wir Grüne setzen uns für eine starke kommunale oder bürgerschaftliche Beteiligung in Form von Bürgerenergiegenossenschaften an der Energiewende ein. Und wir wollen, dass die Einnahmen durch Erneuerbare Energien transparent für soziale, ökologische oder kulturelle Investitionen vor Ort verwendet werden.
Allein im Jahr 2022 beliefen sich die Kosten für Stabilisierungs-Maßnahmen des Stromnetzes (Redispatch) auf rund 4 Milliarden Euro. Anstatt Windkraftanlagen bei Netzengpässen stillzulegen (Abregelung), könnten lokale Elektrolyseure den regionalen überschüssigen Strom aufnehmen und in grünen Wasserstoff vor Ort umwandeln. Dadurch werden die Netzengpässen bewältigt, Redispatch-Kosten vermieden und die regionale Wertschöpfung gestärkt. Auch wollen wir das vergünstigte Nutzen überschüssiger Erneuerbare Energien statt Abregeln etwa durch günstige Strompreise und Netzentgelte fördern.
Strompreiszonen ermöglichen
Bisher haben wir eine paradoxe Situation: Wo besonders viel preisgünstiger Strom aus Wind und Sonne produziert wird, ist er für die meisten Verbraucher*innen besonders teuer, weil sie überdurchschnittliche Netzentgelte bezahlen müssen. Das wollen und müssen wir dringend ändern: Um die Industrie wettbewerbsfähiger zu machen und gleichzeitig den Übergang zur Klimaneutralität zu ermöglichen, müssen die Strompreise nicht nur zeitlich variieren, sondern auch räumlich differenziert gestaltet werden. Regionale Stromerzeugung und damit die Übernahme von Verantwortung für die Energiesicherheit muss sich lohnen. Auch netzdienliches Verhalten, also die Nutzung von Strom insbesondere in Überschusszeiten und die Einbindung von Speichern zur Entlastung der Netze, muss sich lohnen. Ein erster Schritt ist die von der Bundesnetzagentur erfolgte Senkung der Netzentgelte in Regionen mit vielen Erneuerbaren Energien. Eine logische Weiterentwicklung der Regeln des Strommarktes wäre es, Unternehmen zu entlasten, die ihren Energiebedarf (teilweise) selbst decken bzw. durch Lastverschiebung den zur Verfügung stehenden Mengen anpassen können. Etwa indem sie Speicher einsetzen oder Anlagen variabel betreiben.
Bürgerbeteiligung an regionaler Wertschöpfung
Der entscheidende Faktor für den zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien ist ihre Unterstützung vor Ort:Wenn es für einen Landrat oder eine Samtgemeindebürgermeisterin Priorität hat, der Kreistag zügig Flächen ausweist usw. Deshalb ist das von uns Grünen vorangetriebene Beteiligungsgesetz, das die Anlagenbetreiber*innen veranlasst, die Bürger*innen vor Ort und ihre Kommunen zu beteiligen, ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg. Nicht nur beim Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern auch in unserem Bestreben, die ländlichen Räume in besonderer Weise zu fördern.
Regionale Ausbildung der Fachkräfte
Der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft und einer auf erneuerbare Energien bzw. auf die Nutzung von Wasserstoff basierten Industrie, kann nur mit einer Vielzahl gut ausgebildeter Fachkräfte gelingen. Aktuell stehen Fachkräfte jedoch noch nicht im ausreichenden Maße zur Verfügung und die Ausbildungsstellen und Angebote sind noch regional ausbaufähig. Wir begrüßen daher sehr die Fachkräfteoffensive des Energieministeriums zusammen mit dem Handwerk, den IHKen, den Forschungseinrichtungen, den Hochschulen und den berufsbildenden Schulen zu den Energie- und Klimaschutzberufen. Allein im Bereich der Windenergie, bei Wärmepumpen, Elektromobilität und des Ausbaus der Solarenergie werden Zehntausende neue Arbeitsplätze in Niedersachsen entstehen.
Wirtschafts- und Standortpolitik muss Klima- und Energie-Potenziale heben
Die Ansiedlung neuer Startups und von Industriebetrieben, der Aus- und Umbau bereits erfolgreicher Unternehmen und die Entscheidung gut aufgestellte Firmen dem Unternehmensstandort Niedersachsen treu zu bleiben, sind Ergebnis einer zielgerichteten Standortpolitik. Eine gute Standortpolitik muss aber auch die Auswirkungen von Industrieansiedlungen auf Natur und Mensch berücksichtigen. Die US-Administration strebt mit ihren Subventionen aber auch die internationale Technologieführerschaft auf dem wichtigen Zukunftsfeld der Klimatechnologie an, blockiert Importe und zielt klar darauf ab, ausländische Unternehmen mit Subventionen anzulocken und ihren Standort in die USA zu verlagern. Ähnlich agiert China: Obwohl die Subventionierung der Solaranlagenhersteller dort den Ausbau der Photovoltaik bei uns klar beschleunigt, obwohl die staatliche Unterstützung chinesischer E-Auto-Hersteller auch bei uns zu günstigeren Preisen führt, können Deutschland und die EU diesen unfairen Handelspraktiken nicht tatenlos zusehen. Wir müssen endlich mit gezielter Industriepolitik kraftvoll dafür sorgen, klimaneutrales Wirtschaften mit den entsprechenden Technologien und Innovationen auch bei uns attraktiver zu machen. Mit dem Fetisch der Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form, die aktuell eine kraftvolle Industriepolitik verhindert, verbauen wir der Wirtschaft wichtige Zukunftschancen und würgen die erforderlichen Umbauprozesse ab. Die Konkurrenz vor allem aus China und den USA nutzt das politische Schleudertrauma unserer Automobilwirtschaft gerne zum kraftvollen Überholmanöver. Damit muss endlich Schluss sein.
Wir unterstützen daher die aktiven Bemühungen und zielgerichteten Förderungen zur Stärkung der Wärmepumpenproduktion und Windenergieanlagenproduktion in Niedersachsen. Das Land ist weiter bereit in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Solarforschungsinstitut in Hameln eine große PV-Produktion mit bis 2000 neuen Industriearbeitsplätzen nach Niedersachsen zu holen. Wir wollen besonders umweltfreundliche und innovative Solarzellen Made in Niedersachsen statt Made in China.
Die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit gelingt in einem global vernetzten Markt nur ohne Abschottung und Protektionismus. Über Maßnahmen wir ein wirkungsvolles Lieferkettengesetz stemmen wir uns dennoch gegen unfaire Bedingungen und verteidigen damit unsere Werte und Qualität. Unser Wohlstand darf nicht auf dem Ausverkauf von Menschenrechten und der schonungslosen Ausbeutung von Ressourcen beruhen. Unsere Wettbewerbsfähigkeit sichern wir in Europa, Deutschland und Niedersachsen über den Erhalt und Ausbau einer leistungsfähigen Energie-, Daten- und Verkehrsinfrastruktur sowie die Sicherung gut ausgebildeter Fachkräfteund guter Arbeitsbedingungen. Wir sorgen für kurze Genehmigungsfristen und Verlässlichkeit staatlichen Handelns. Hinzu kommen „weiche Standortfaktoren“ wie Kultur, ein von Offenheit und Toleranz geprägter Umgang miteinander, eine gesunde Umwelt, etc. Das wollen wir Grünen sicherstellen. Mit der Task Force Energiewende und dem Klimagesetz haben wir alle für die Transformation der Wirtschaft und den Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie der Netze und Speicher erforderlichen Maßnahmen massiv beschleunigt. Bei den Windkraftgenehmigungen sind wir mit 3,5 Monaten bei vollständigen Antragsunterlagen mittlerweile deutlich unter dem Bundesschnitt von neun Monaten. Bei Ausbau Wasserstoffelektrolyseuren und Netzen wie dem SüdLink und dem A-Nord kommen wir endlich voran. Ebenso sind Deutschlands größte Offshore-Windräder vor Niedersachsens Küste kurz vor der Vollendung und ein neues Stromkabel für Erneuerbaren Strom zwischen Wilhelmshaven und Großbritannien ebenfalls im Bau.
Jetzt in regionale Energiewende investieren
Investitionen in die regionale Energiewende bringen erhebliche Vorteile für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft. Vor 20 Jahren hätte man vermutlich nur belächelt, wenn jemand den massiven Ausbau der Wind- und Sonnenenergie nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch zur Sicherstellung einer kostengünstigen Energieversorgung gefordert hätte. Heute ist diese Realität längst eingetreten. Kohle, Öl, Gas und Atomkraft sind die teuersten Energiequellen, die heimischen Erneuerbaren die günstigsten. Dies verdeutlicht: Bei der Einführung neuer Technologien, die auf erneuerbare und damit im Grunde kostenlose (und barrierefreie) Ressourcen setzen, sind anfangs staatliche Förder- und Stützungsmaßnahmen erforderlich, um durch Massenproduktion Skaleneffekte zu erzielen. Dies gilt ebenso für E-Autos, industrielle Prozesse auf Basis von Wasserstoff und die Nutzung von Umgebungswärme zur Raumwärmeversorgung. Wir Grünen werden nicht zulassen, dass die Skepsis derjenigen, die an überholten fossilen Geschäftsmodellen festhalten, oder die Lobbyinteressen jener, die ihre veralteten Strukturen möglichst lange bewahren möchten, diese Chancen gefährden und den Markt-Zugang für neue Teilnehmer, wie Bürger*innen, behindern. Die Küstenregion ist Vorreiter der Energiewende und wird nun gleichzeitig Ort der Stromautobahnen mit zunächst 11 Trassen zur Versorgung der Republik mit Strom. Gleichzeitig ist die Region Top Destination für den Tourismus. Wir Grüne wollen, dass auch während der langen Bauphase beides zum Erfolgsmodell für die regionale Wirtschaft wird. Bei uns im Norden landet der Offshorestrom an, um die Akzeptanz weiter zu steigern, ist es von besonderer Bedeutung, dass die Einnahmen aus der Offshorabgabe, die nicht zur Senkung der Netzentgelte verwendet werden, in die betroffenen Regionen zurückfließen und dort wichtigen Maßnahmen zur Stärkung der nachhaltigen Fischerei und des Meeresnaturschutzes zu Gute kommt. Dies stärkt auch den Tourismus vor Ort.
Für uns ist klar: Investitionen in den Klimaschutz sind nicht nur eine Frage des Überlebens, sondern auch eine ökonomische Notwendigkeit. Die Kommunen spielen dabei eine zentrale Rolle, und deshalb fordern wir geeignete Rahmenbedingungen für die Entwicklungen der regionalen Energieregionen und Wertschöpfungsketten in Niedersachsen, in dem die Kommunen gut in ihrer Region eingebunden sind. Allerdings dürfen wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien den Ressourcenverbrauch, die Auswahl von Materialien oder die Recyclingquoten nicht außer Acht lassen. Wir grüne stehen für einen naturverträglichen Ausbau der erneuerbaren Energien. Das Ur-Grüne Prinzip des ganzheitlichen Denkens dürfen wir beim Umbau unserer Energieversorgung nicht vergessen.