Nicht nur in Niedersachsen dominierte Volkswagen in den vergangenen Jahrzehnten die Automobilbranche. Der Sitz der Volkswagen AG, dem bis vor kurzem größten und absatzstärksten Automobil-Vollsortimenter, befindet sich in Wolfsburg. Durch die engen politischen Verflechtungen mit dem Konzern hat auch die niedersächsische Landespolitik ein hohes Interesse daran, dass der Konzern zukunftsfähig aufgestellt ist. Volkswagen hat noch 2023 einen Gewinn von 18 Mrd. Euro erwirtschaftet, seinem Vorstandsvorsitzenden 10 Mio. Euro Gehalt und an seine Aktionäre 9 Prozent Dividenrendite gezahlt. Noch im Mai 2024 wurden insgesamt 4,5 Mrd. Euro Dividenden ausgeschüttet.
Diese Indikatoren zeigen eindeutig, dass es dem Konzern finanziell nicht schlecht geht.
Mit der Dekarbonisierung im Automobilsektor musste auch VW seine gesamte Produktion umstellen. Der frühere Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, Herbert Diess, hat dies erkannt und im Jahr 2019 das Ruder vergleichsweise spät herumgerissen, teilweise immer noch gegen massiven Widerstand aus den eigenen Reihen, um den Anschluss an die neuen Zeiten in der Elektromobilität nicht zu verpassen. Die Folgen der industriepolitischen Ausrichtung Chinas auf den Elektromotor vor über 15 Jahren wurden von vielen Kenner:innen der Automobilszene auch in Wolfsburg stark unterschätzt. Das globale Umfeld, in dem heute Automobile produziert werden, werden vor allem durch die massiven Überkapazitäten und den damit verbundenen Niedrigpreisen determiniert. China ist in fast unnachahmlicherweise in der Lage, Millionen von E-Fahrzeugen zu Niedrigstpreisen global anzubieten. Aktuell sind lediglich die Logistikprobleme der begrenzende Faktor. Von daher war die Entscheidung der EU, die massiven Preisverzerrungen auf dem EU-Automarkt mit Ausgleichszöllen zu belegen, ein richtiges und wichtiges handelspolitisches Signal nach China,wenngleich das Ziel sein sollte, eine dauerhafte Handelsauseinandersetzung zu vermeiden. Parallel dazu schaffen es die USA mit den umfangreichen finanziellen Mitteln des Inflation Reduction Act (IRA), in ihrem Staatenverbund hervorragende industrielle Rahmenbedingungen zu etablieren. Der IRA kann Wettbewerbsnachteile für die EU bedingen und übt somit zusätzlichen Druck auf die hiesige Industrie aus.
Ferner muss auch die Zusage der ungarischen Regierung, dem chinesischen Herrsteller BYD die Produktion in der EU zu ermöglichen, kritisch hinterfragt werden. Während die deutschen Hersteller in China keine Mehrheiten an ihren eigenen Tochterfirmen besitzen, werden der chinesischen Konkurrenz in der EU deutlich weniger Hürden auferlegt. Diese Verzerrungen müssen auf der EU-Ebene korrigiert werden.
Der deutlich spätere Start in die Batterietechnologie in der deutschen und europäischen Automobilindustrie führt dazu, dass gewisse zeitliche Vorsprünge vor allem auch in der Ressourcengewinnung und -verarbeitung nicht einfach von heute auf morgen kompensiert werden können. Der Anspruch an einen modernen Autobauer muss aus Sicht von B90/GRÜNE nicht nur darin liegen, die günstigsten Autos zu bauen, sondern auch eine Nachhaltigkeitsstrategie vorzulegen, die trägt. Dazu gehören eine Ressourcenstrategie, die ökologischen und menschenrechtlichen Standards entspricht und die in die Kreislaufwirtschaft der EU eingebettet ist. Das sind Anstrengungen, denen chinesische und andere globale Hersteller erst bei der Produktion auf dem EU-Markt unterliegen.
Der anstehende Umbruch und die zum Teil disruptiven Entwicklungen im Automobilsektor führen allerdings zu drastischen Umstrukturierungen, die auch die Werke und Produktionsstätten in Niedersachsen treffen.
Bei einem Aus des Verbrennermotors muss selbstverständlich auch in der Umstrukturierung darauf geachtet werden, dass die gut bezahlten Industriearbeitsplätze in neue Geschäftsfelder der Automobilindustrie überführt werden. Es ist in unserem Interesse, für alle Arbeitsplätze in der Zuliefererindustrie Zukunftsalternativen zu schaffen.
Das Automobil der Zukunft wird sich weniger an klassischen Automobilen eines europäischen Marktes ausrichten, sondern es wird zum einen viel stärker als Teil des „Ökoheim-Systems“ integriert sein. Das E-Fahrzeug wird unter Nutzung des bidirektionalen Ladens Teil der dezentralen Speichertechnologie und der Energiewende sein. Dafür müssen die politischen, regulatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Zum anderen muss das Fahrzeug von morgen aber ausgerichtet werden am chinesischen Leitmarkt und an den Metropolen der Welt. Hier sind nach wie vor mit Abstand die höchsten Absatzzahlen zu erwarten.
Neue Treiber auf dem Automobilsektor werden neben den neuen E-Automobil-Unternehmen wie Tesla oder BYD vor allem große Digital- oder auch Logistikkonzerne wie Google und Amazon sein. In den letzten beiden Fällen dreht sich viel um Share-Economy, um autonomes Fahren und um den Einsatz von digitaler Technik. Bei den chinesischen Herstellern stehen neue Anforderungen an die Entertainment Industrie im Vordergrund, die im Auto verbaut wird oder auch um Lebensstile für Personen, die beispielsweise lange Pendelstrecken jeden Tag im Auto verbringen. Innovationen in diesem Bereich gehen aktuell vor allem von asiatischen Märkten aus. Als Teil eines globalen Mobilitätskonzerns muss VW auch wieder eine Produkt- und eine Kostenführerschaft anstreben.
Heute steht die Volkswagen AG unter großem Transformationsdruck, das Konzernmanagement erwies sich insbesondere in der Vergangenheit mit dem schnellen Wandel zur E-Mobilität als überfordert. Gleichzeitig bedarf es aber auch Anpassungen der politischen Rahmenbedingungen auf Landes-, Bundes- und Europaebene, um wettbewerbsfähig mit China und den USA zu bleiben. Volkswagen ist nicht nur einer der größten Arbeitgeber in NDS, sondern trägt auch wesentlich zu seinem Steueraufkommen und seiner Exportstärke bei. Diesen wirtschaftlichen Nutzen gilt es zu erhalten, zukünftig aber unter modernen und nachhaltigen Rahmenbedingungen.
Um die Zukunftsfähigkeit der Volkswagen AG in Niedersachen zu gewährleisten, stellen wir die folgenden Forderungen an das Management sowie politische Entscheidungsträger:innen, auch in der niedersächsischen Landesregierung:
1. Der Erfolgskern der Marke VW war ein „Volkswagen“, ein Auto, das sich Menschen auch mit niedrigem Einkommen leisten konnten. Es muss das Ziel des Konzerns und der Landesregierung sein, so schnell wie möglich, ein wettbewerbfähiges, kostengünstiges Elektrofahrzeug der Marke Volkswagen für den Massenmarkt zu produzieren. Wir erkennen an, dass VW ein milliardenschweres Transformationsprogramm aufgelegt hat, um genau diese Marktanorderungen zu erfüllen. Die Landesregierung sollte den Konzern weiterhin darin unterstützen, den Pfad der Elektromobilität stringent zu verfolgen, weil er über Erfolg und Misserfolg entscheiden wird.
2. Ein Vorzug beim Betrieb von Elektrofahrzeugen sind ihre wesentlich geringeren CO2-Emissionen, bis hin zu theoretischen Null-Emissionen. Nur mit einer durchschlagskräftigen E-Flotte wird VW die nächsten EU-Emissionsgrenzen ab 2025 problemlos einhalten können. Daher ist von einer dies konterkarierenden Verlängerung von Verbrennerfahrzeugen und der oft beschworenen Technologieoffenheit im Pkw-Segment, die ausschließlich der Verzögerung neuer Technologien dient, abzusehen.
3. Die relativen finanziellen Vorzüge der Elektrofahrzeuge sind neben den Null-Emissionen die niedrigen Kosten für den Betrieb eines E-Fahrzeugs. Neben günstigem Strom aus erneuerbaren Energien, bei dem Niedersachsen sehr gute Ergebnisse vorweisen kann, muss zukünftig das Ziel sein, dass mit Hilfe von bidirektionalem Laden die Autobatterien nach Bedarf wieder Energie ins Netz einspeisen können. Die Landesregierung ist aufgefordert, mit einfach zu verstehenden regulatorischen Maßnahmen für ein zeitnahes System, das bidirektionales Laden erlaubt, auf der Bundesratsebene zu unternehmen. Diese könnten sich für das Einspeisen in öffentliche Stromnetze bspw. an der Regulatorik von Photovoltaik-Anlagen anlehnen. Aktuell werden E-Autos rechtlich als Pkw und nicht als Batteriespeicher behandelt, für die teilweise günstigere rechtliche Regelungen gelten. Daher setzen wir uns für eine steuerliche Anpassung von „fahrenden Speichern“ wie E-Autos ein. Der Hintergrund: Die doppelte Besteuerung des im Auto zwischengespeicherten Stroms macht die Rückspeisung ins öffentliche Netz weniger rentabel. Momentan fallen sowohl beim Strombezug aus dem Netz, also beim Kauf, als auch bei der Rückspeisung ins Netz, also beim Verkauf, Steuern an.
4. Ebenfalls attraktiv sind eine ausreichende Verfügbarkeit von Erneuerbaren Energien und standardisierte Anschlüsse insbesondere im städtischen Bereich. Die Landesregierung sollte die rechtlichen Rahmenbedingungen nutzen, ein flächendeckendes Ladensäulensystem aufzubauen, das allen E-Fahrzeughalter:innen das Laden ihrer Fahrzeuge problemlos ermöglicht.
5. Für einen schnellen Umstieg auf Elektromobilität braucht es einen Ausbau der Ladeinfrastruktur – insbesondere im ländlichen Raum: Eine flächendeckende und verlässliche Ladeinfrastruktur ist vor allem im Flächenland Niedersachsen entscheidend für den Erfolg der Elektromobilität. Wir setzen uns dafür ein, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur mit hoher Priorität vorangetrieben wird, vor allem im ländlichen Raum, um Elektromobilität auch dort uneingeschränkt nutzbar zu machen. Hierbei sind intelligente Lösungen wie digitale Ladesäulensteuerung und Lastmanagementsysteme erforderlich, um eine stabile Versorgung sicherzustellen.
6. Ein gewichtiger Faktor, von dem der Erfolg in der neuen Automobilproduktion abhängt, wird die Verfügbarkeit von Facharbeitskräften sein. Gut ausgebildete Fachkräfte unbürokratisch auch aus dem Ausland nach Niedersachsen zu holen, muss oberste Priorität der Landesregierung sein. Mit der Einrichtung einer neuen Agentur, die zukünftig die Vermittlung von Arbeitskräften aus dem Ausland sammelt, ist seitens der Landesregierung ein erster wichtiger Schritt erfolgt. Neben den administrativen Voraussetzungen braucht es dafür auch ein gesellschaftliches Klima von Toleranz, Offenheit und Internationalität, das den Standort attraktiv erscheinen lässt.
7. Der Erfolg zukünftiger Automobil- und auch Mobilitätspolitik wird ganz entscheidend vom Grad der Digitalisierung abhängen. Die Elektromobilität in Niedersachsen benötigt daher eine leistungsfähige digitale Infrastruktur. Wir fordern weitere Investitionen in digitale Technologien und Plattformen, um intelligente Ladesysteme (auch mit IoT), optimierte Batteriemanagementsysteme und vernetzte Mobilitätslösungen zu ermöglichen. Dies schafft nicht nur eine höhere Effizienz und bessere Nutzer:innen-Erfahrung, sondern fördert auch die Wettbewerbsfähigkeit der Automobil-Industrie in Deutschland und explizit VW in Niedersachsen
8. Sinnvolle Integration von Künstlicher Intelligenz (KI): KI kann entscheidend dazu beitragen, die Elektromobilität voranzubringen, etwa durch autonome Fahrtechnologien, vorausschauende Wartung und die Optimierung von Produktionsprozessen. Wir fordern hier gezielte Förderprogramme zur Entwicklung und Implementierung von KI-Lösungen, die die Transformation hin zu einer ressourcenschonenden und klimafreundlichen Mobilität unterstützen. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Industrie, Wissenschaft und Politik. VW kann hier der Vorreiter in Deutschland werden und auch Maßstäbe beim autonomen Fahren setzen.
9. Ausbau von Forschung und Entwicklung: Niedersachsen soll weiterhin als Standort für Innovation gestärkt werden. Wir setzen uns für die Belebung von Forschungsnetzwerken ein, die sich mit der Digitalisierung, der Anwendung von KI und der Entwicklung neuer Lade- und Fahrzeugtechnologien in der Automobilbranche befassen. Dabei ist sicherzustellen, dass der Wissenstransfer zwischen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), Start-ups und etablierten Konzernen unterstützt wird, um die Innovationskraft der gesamten Region zu stärken.
10. Für die VW-Standorte in Niedersachen setzen wir in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Betriebsräten auf ein ambitioniertes Weiterbildungs- und Umschulungsprogramm für die Fachkräfte, die in der klassischen Automobilproduktion oder auch bei den Zuliefererbetrieben absehbar keine Einstellungsmöglichkeit erhalten. Es sollten alle Mitarbeiter:innen fit für den Arbeitsmarkt 4.0 sein.
11. Investitionen des Unternehmens sollten zukünftig nur noch an Standorten erfolgen, die problemlos alle Compliance Kriterien auch im Bereich der Menschenrechte erfüllen. Es muss jederzeit sichergestellt werden, dass die VW-Aktie auch für Investmentfonds mit Nachhaltigkeitszielen geeignet ist. Eine Herabstufung im Rating kann sich der Konzern nicht erlauben. Das sollte auch im Interesse der Landesregierung sein.
12. Bei allen Überlegungen zur Zukunftsfähigkeit des VW-Konzerns müssen wir immer gewahr sein, dass eine Antriebswende für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands nicht ausreicht. Es bedarf einer echten Mobilitätswende, bei der Mobilität nicht automatisch mit dem Besitz eines eigenen PKW verbunden wird. Der Anteil des Motorisierten Individualverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen wird und muss zukünftig abnehmen, selbst das Bundesverkehrsministerium unter Wissing rechnet mit einem sinkenden Auto-Aufkommen. Zukünftig kommt es vor allem darauf an, gut, zuverlässig und sicher von einem Ort zum anderen zu kommen. Flexible Nutzung, mehr Car- und Ride-Sharing, intelligente Verknüpfung unterschiedlicher Verkehrsformen und autonomes Fahren werden die Mobilität der Zukunft bestimmen.
Mobilitätskonzepte beinhalten auch ein Nachdenken über die Reduktion der Flächen, die dem Verkehr zugestanden werden, hier auch besonders der Flächen, die der ruhende Verkehr in den Städten beansprucht. Diese Flächen stehen weder für Nutzungen durch die Stadtgesellschaft noch für Nutzungen, die z.B. gegen Überhitzung oder auch Überflutung in den Städten zunehmend erforderlich werden, zur Verfügung.
Gerade die Klimakatastrophe erfordert schnelles Umdenken auch bei den Konzernen, da alte Gewissheiten nicht mehr gelten und alte Erfolgsrezepte hinfällig sind. Je schneller die Notwendigkeit der Transformation erkannt und sie umgesetzt wird, umso größer wird der volkswirtschaftliche Nutzen und um so geringer das betriebswirtschaftliche Risiko für den Konzern und auch die Zulieferer sein.