Gute gesundheitliche Versorgung in Stadt und Land“ war eines unserer Leitmotive
unseres Grünen Bundestagswahlprogramms 2021 und inhaltlich auf Niedersachsen
zugeschnitten: „Wir wollen den Zugang zu guter Gesundheitsversorgung von der
Kindheit bis ins hohe Alter sicherstellen – aber gute Gesundheitspolitik umfasst
mehr. Gesundheit ist Daseinsvorsorge. Wir wollen, dass Menschen im ganzen Land
gut und verlässlich versorgt werden. Viele niedergelassene Ärzt*innen, Hebammen,
Heilmittelerbringer*innen und andere medizinische Fachkräfte arbeiten jeden Tag
hart daran, diese Versorgung zu ermöglichen. Doch wenn mancherorts der Weg zur
Hebamme kaum zu bewältigen ist, die Kinderstationen Patient*innen abweisen
müssen oder Hausarztpraxen auf dem Land schließen müssen, weil ein*e
Nachfolger*in fehlt, gefährdet das die gesundheitliche Versorgung. Wir wollen
die Primärversorgung durch Hausärzt*innen und weitere Gesundheitsberufe weiter
stärken. Um die Versorgung in Stadt und Land sicherzustellen, wollen wir, dass
ambulante und stationäre Angebote in Zukunft übergreifend geplant werden und
etwa regionale Versorgungsverbünde mit enger Anbindung an die Kommunen gefördert
werden.“
Der dort definierte Fahrplan ist heute wichtiger denn je. Der demographische
Wandel führt zu einer Zunahme des medizinischen Versorgungsbedarfes und
gleichzeitig zu einer massiven Reduktion der Beschäftigten im Gesundheitswesen.
Zusätzlich lässt verschleppter Reformbedarf immer wieder Engpässe in der
Versorgung entstehen. Die wahrgenommene medizinische Versorgung verschlechtert
sich in den Augen der Bevölkerung dramatisch, insbesondere auf dem Land.
Unsere Gesundheitsversorgung steckt in der Krise und die im Bundeswahlprogramm
2021 beschriebenen Lösungen lassen auf Bundesebene auf sich warten. Wir können
jedoch angesichts der Bedeutung von verlässlicher Gesundheitsversorgung nicht
warten. Daher sollten wir den mit der EnquetekommissionSicherstellung der
ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Niedersachsen2018
begonnenen, partizipativen „Niedersächsischen Weg“ fortführen und endlich
Niedersachsen zum Innovator, zum Reallabor innovativer Versorgungsmodelle und
kreativer Lösungen machen.
Grüne Politik will, dass alle Bürger*innnen Zugang zu einer bedarfsgerechten
Gesundheitsversorgung haben, unabhängig davon, wo sie wohnen und wer sie sind.
Wir setzen uns daher für den Aufbau und Erhalt einer guten und bedarfsgerechten
medizinischen Versorgung ein, insbesondere auch auf dem Land.
Wir fordern als LDK das Land Niedersachsen auf, die Rolle des Impulsgebers,
Moderators und Brückenbauers zu übernehmen und eine
Landesinitiative „Gesundheitsinnovator Niedersachsen“ zu starten.
Hierfür müssen die erforderlichen Ressourcen vom Land bereitgestellt werden, um
die Prozesse strategisch zu begleiten sowie die verantwortlichen Akteure zu
motivieren und zu verpflichten. Wir rufen aber auch alle Akteure in Land und
Kommune auf, ihre Kompetenzen in die Entwicklung innovativer
Versorgungsstrukturen ohne Schere im Kopf einzubringen und dabei Partial- oder
Gruppeninteressen zugunsten der Patient*innenversorgung zurückzustellen. Eine
gemeinschaftliche Finanzierung muss sichergestellt und bei Erfolg ausgeweitet
und verstätigt werden. Fördermittel aus den entsprechenden europäischen Fonds
müssen intensiver genutzt werden.
Die Landesregierung möge folgende Bereiche des niedersächsischen
Gesundheitswesens stärken:
- Vorfahrt für die Primärversorgung
Das Rückgrat einer guten, auch präventiv ausgerichteten
Gesundheitsversorgung ist eine gute Primärversorgung durch Hausärzt*innen
und muss auch in ländlichen und strukturschwachen Gebieten sichergestellt
werden. Dazu gehören u.a. multidisziplinär arbeitende kommunale und
genossenschaftliche Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sowie Regionale
Versorgungszentren (RVZ). Letztere bündeln hausärztliche Versorgung mit
einem vielfältigen Angebot an Beratung, Prävention und
interprofessioneller Therapie. - Sektorübergreifende Regionale Gesundheitszentren (RGZ)
Mit der Krankenhausreform wird das in Niedersachsen bereits etablierte
Konzept sektorübergreifender „Regionaler Gesundheitszentren“ (RGZ)
bundesweit eingeführt. Kurzstationäre Akut- und Pflegeangebote werden
sektorübergreifend mit ambulanter haus- und fachärztlicher Versorgung aus
einer Hand wohnortnah angeboten. Mängel bundesgesetzlicher Vorgaben müssen
durch landesspezifische Anpassungen behoben werden. - Versorgung interprofessionell gestalten und Delegationsmodelle kreativ
nutzen
RVZ und RGZ sollten zum Reallabor interprofessioneller Zusammenarbeit
entwickelt werden. Hierbei sollte auch die Delegation bisher ärztlicher
Leistungen konsequent und qualitätsgesichert umgesetzt werden. Dadurch
wird nicht nur genügend Kontaktzeit zwischen Patient*innen und Ärzt*innen
gewährleistet und Versorgungslücken geschlossen und verhindert, sondern
auch die Attraktivität nicht-medizinischer Gesundheitsberufe erhöht. - Förderung telemedizinischer Versorgungsangebote
Telemedizin ist ein wichtiges Instrument zur Weiterentwicklung der
Versorgung und kann eine wichtige Rolle für den ländlichen Raum einnehmen.
Die Gesundheitspartner*innen müssen bei der digitalen Transformation durch
weitreichende Qualifizierungsmaßnahmen und der Förderung entsprechender
Projekte unterstützt werden. Zudem setzen wir uns dafür ein, dass der
gezielte Einsatz von telemedizinischen Angeboten unterstützt wird, um
Engpässe in der Versorgung zu reduzieren. - Stärkung Allgemeinmedizin
Eine hausärztlich ausgerichtete Primärversorgung bedarf einer Stärkung der
Allgemeinmedizin in Aus- und Weiterbildung sowie Forschung. Auch durch
Ausbildung und Studium sollte die Versorgung auf dem Land gestärkt werden
(Stichwort Landarztquote). - Masterplan Ausbildung Gesundheitsberufe
Die entstehende Versorgungslücke lässt sich nicht nur strukturell
schließen, sondern bedarf eines massiven Aufbaus von Ausbildungs-,
Qualifizierungs- und Studienkapazitäten in allen Gesundheitsberufen. - Gute Gesundheitsversorgung braucht gute Fachkräfte
Der bestehende Fachkräftemangel kann nicht nur durch eigene Ausbildungs-
und Arbeitsmarktmaßnahmen überwunden werden, sondern bedarf auch des
Zuzugs von Fachkräften aus anderen Staaten. Dieser wird noch immer
behindert durch überbürokratische Anerkennungsverfahren und uneinheitliche
Auslegungen der Anerkennungskriterien und -prozesse behindert.
Wir müssen daher ergänzend zur Ausbildungsoffensive eine pragmatische und
damit schnellere Anerkennung von Berufsqualifikationen sowie die
Integration von ausländischen Fachkräften sicherstellen. Um hierbei die
Qualität einer auf Sprache basierenden Gesundheitsversorgung und Pflege
sicherzustellen, bedarf es einer systematischen Förderung des Erwerbs der
deutschen Sprache vor und während der Tätigkeitsaufnahme. - Gute Fachkräfte benötigen flexible, familienfreundliche Arbeitsplätze und
bezahlbaren Wohnraum
Insbesondere für Mitarbeiter*innen der Pflegeberufe aber auch für
Ärzt*innen müssen Arbeitsplätze im Gesundheitswesen flexibler und
familienfreundlicher gestaltet werden. Nicht nur Teilzeitarbeitsangebote
sind wichtig, sondern auch die Betreuung von Kindern in
Betriebskindergärten, deren Öffnungszeiten sich nach den Arbeitszeiten der
Eltern richten müssen. Ebenso bedarf es bezahlbaren Wohnraums im Umfeld
von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.
Die Liste an wichtigen Maßnahmen sowie innovativen, pragmatischen Lösungen und
Ideen ließe sich fortführen. Bei allen Maßnahmen zur Sicherstellung
diagnostischer und therapeutischer Gesundheitsangebote sind gleichwertig
Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitskompetenz zu entwickeln bzw. zu stärken
und in die neuen Organisationsformen zu integrieren.
Es ist einfach, die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung verbal zu
priorisieren. Es braucht jedoch Engagement, Veränderungsbereitschaft und
ausreichend Ressourcen auch Fakten zu schaffen. Eine gute Gesundheitsversorgung
ist zudem ein wichtiger wirtschaftlicher Standortfaktor für Unternehmen. Die
Analysen der Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen haben zudem die hohe
Priorität einer guten Gesundheitsversorgung bei den Wählerentscheidungen
offengelegt. Die Kompetenz wurde in fataler Weise stärker AfD und BSW
zugesprochen. Bei uns in Niedersachsen muss handlungsorientierte grüne
Gesundheitspolitik sichtbar werden.