Die Lebensmittelindustrie gibt sich zwar noch immer redlich Mühe, uns das Kinderbuchidyll vom Bauern, der im Märzen seine Rösslein anspannt, zu vermitteln. Doch dieses Bild stimmt schon lange nicht mehr. Die Industrie 4.0, das Internet der Dinge und miteinander vernetzte Maschinen, haben längst auch in der Landwirtschaft Einzug gehalten. Software und Sensorik machen bei modernen Landmaschinen etwa 30 Prozent der Kosten und damit drei mal so viel aus, wie bei modernen Autos. Landwirtschaft 4.0 ist in vollem Gange.
Die Möglichkeiten klingen verlockend
Die Möglichkeiten mit digitaler Technik Natur und Umwelt zu schonen und das Tierwohl zu verbessern, sind schon heute vielfältig: Drohnen können Grünlandflächen vor der Mahd überfliegen und Rehkitze orten, die sich im hohen Gras verstecken und deshalb bisher in jedem Frühsommer zu Hunderttausenden der Mähmaschine zum Opfer fallen. Sensoren sind in der Lage, einen beginnenden Schädlingsbefall im Getreide zu erkennen, damit dieser frühzeitig an der entsprechenden Stelle bekämpft werden kann, statt auf der ganzen Fläche Fungizide oder Insektenvernichter einzusetzen. Ebenso ist eine präzise am standörtlichen Nährstoffbedarf der Nutzpflanze angepasste Düngung längst möglich.
Die Fachhochschule Osnabrück hat einen selbstfahrenden Roboter mitentwickelt, der nicht nur in der Lage ist, alle möglichen Daten über Beschaffenheit und Nährstoffversorgung des Bodens zu ermitteln, sondern auch jedes kleine „Unkraut“ mittels einer Stange in den Boden zu rammen. Auf diese Weise können Pestizide eingespart werden. Moderne Melkroboter machen es möglich, dass die Kuh selbst entscheidet, wann sie gemolken werden will. Dank individueller Kennung und exakter Auswertung der Milch über die Menge bis hin zu ihren Inhaltsstoffen kann die Bäuerin/der Bauer frühzeitig eine beginnende Erkrankung am Computer erkennen und behandeln. Das sind nur einige Beispiele bereits heute verfügbarer Möglichkeiten, die Digitalisierung im Sinne der Umwelt und der Tiere zu nutzen.
Gläsern und teuer
Landwirtinnen und Landwirte fürchten sicher nicht ganz zu Unrecht, dass die von smarten, GPS-gesteuerten Maschinen erhobenen Daten etwa über den Dünge- und Pestizideinsatz auf jeder einzelnen Fläche künftig mit dem jährlichen Agrarförderantrag gleich an die zuständigen Kontrollbehörden mitgeliefert werden müssen. Was aus Datenschutzgesichtspunkten mindestens fragwürdig ist, dürfte für die Umwelt zweifellos von Vorteil sein, denn bisher ist es zum Beispiel kaum möglich zu ermitteln, welcher konkrete Betrieb durch zu viel Gülle auf seinen Feldern gegen düngerechtliche Vorgaben verstößt, obwohl anhand der Tierbestandszahlen und Stoffströme zweifelsfrei feststeht, dass in den Landkreisen im westlichen Weser-Ems-Gebiet insgesamt massiv überdüngt wird. Gleichzeitig ist die Technik der Landwirtschaft 4.0 teuer. Damit dürfte die Digitalisierung ein weiterer Treiber zur Steigerung der Kapitaleinsatzes in der Landwirtschaft sein.
Landwirtschaft 4.0: Fluch oder Segen?
Auf den ersten Blick erscheinen die Chancen der Digitalisierung der Landwirtschaft auch für den Umwelt- und Tierschutz verlockend: Die Schädigung der Umwelt durch zu viel Dünger und hohen Pestizideinsatz kann vermieden werden und zweifellos dient es dem Tierwohl, wenn Krankheiten oder potenzielle Probleme bei der Geburt von Ferkeln oder Kälbern durch digitale Überwachung früh erkannt werden können. Andererseits dürfte der hohe Kapitalbedarf den langjährigen Trend des Wachsens oder Weichens der landwirtschaftlichen Betriebe weiter beschleunigen. Wenn selbst kleinräumige Standortunterschiede durch exakt angepasste Düngung nivelliert werden, droht die Landschaft noch monotoner zu werden und die Kornblume fehlt unseren Insekten auch dann als Nahrungsgrundlage, wenn sie vom selbstfahrenden Roboter mechanisch beseitigt wurde. Zudem steigt die Abhängigkeit von wenigen Agrarkonzernen. Die Landwirtschaft 4.0 allein wird damit nicht in der Lage sein, die massiven ökologischen Probleme unserer Nahrungsmittelproduktion zu lösen. Es bleibt auch künftig eine politische Aufgabe, durch massives Umsteuern der Förderpolitik die gesamtgesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft wie Tier-. Umwelt- und Naturschutz gezielt zu honorieren.