Niedersachsen ist ein Einwanderungsland. Nicht nur die über 100.000 Menschen, die in den letzten zwei Jahren vor Krieg, Verfolgung und existenzieller Not geflohen und bei uns Schutz und Sicherheit gesucht haben, verändern unsere Gesellschaft. Seit vielen Jahrzehnten prägen Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft Niedersachsen. Rund 20 Prozent der hier lebenden Menschen haben einen Migrationshintergrund, bei Kindern und Jugendlichen liegt der Anteil noch deutlich höher. Sie sind eine Bereicherung für Niedersachsen und haben es vielfältiger und bunter gemacht.
Aber ein gutes Miteinander und ein funktionierendes Gemeinwesen sind keine Selbstläufer. Es bedarf politischer Rahmensetzungen, damit diese Gesellschaft zusammenwächst und Teilhabe für alle gewährleistet ist. Aus der Willkommenskultur die wir im letzten Jahr er- und gelebt haben, muss eine Willkommensstruktur werden, um die dauerhaft hierbleibenden Menschen integrieren zu können.
Zentrale Handlungsebene für die Integration sind die Kommunen. In den niedersächsischen Landkreisen, Städten und Gemeinden sind einerseits die gesellschaftlichen und organisatorischen Herausforderungen der Integration unmittelbar erfahrbar, andererseits aber auch die damit verbundenen Chancen. Die Kommunen haben in den vergangenen Monaten eine beispielhafte Arbeit geleistet, um die vielen Geflüchteten aufzunehmen und unterzubringen. Nun gilt es gemeinsame Handlungsansätze zu entwickeln und umzusetzen, um für die Integration einen geeigneten Rahmen zu gestalten und die Kommunen bei der Integrationsarbeit zu unterstützen. Voraussetzung für das Gelingen der Integration ist der Zugang zu Bildung und in den Arbeitsmarkt.
Spracherwerb für alle von Anfang an
Der frühzeitige Erwerb der deutschen Sprache ist die Grundvoraussetzung dafür, dass sich Geflüchtete und Zugewanderte in diesem Land zurechtfinden und in der Gesellschaft ankommen können. Ohne Sprache kann Integration nicht gelingen.
Aktuell erleben wir, dass Zehntausende Menschen monatelang warten müssen, bis sie Zugang zu einem Integrationskurs des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) erhalten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen halten das für einen schweren Fehler. Lange Wartezeiten, in denen die Geflüchteten vieles um sie herum nicht verstehen, führen zu Hilflosigkeit, Frustration und dem Gefühl von Ausgrenzung. Der Spracherwerb muss deshalb viel schneller als bisher beginnen, möglichst bereits unmittelbar nach der Ankunft in diesem Land.
Im vergangenen Jahr hat die Niedersächsische Landesregierung schnell auf die Dynamik der Fluchtbewegungen reagiert. Sie hat zusätzliche unbürokratische Angebote zum Spracherwerb für alle Geflüchteten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus und Herkunftsland auf den Weg gebracht. Deshalb konnten bereits viele Menschen erfolgreich einen Sprachkurs in den Einrichtungen der Erwachsenenbildung absolvieren. Aber so lange der Bund seiner Verantwortung in dieser Frage nicht gerecht wird, kann es nicht gelingen Kurse in ausreichender Anzahl für alle Menschen, die unsere Sprache lernen wollen, anzubieten. Land und Kommunen werden bei dieser Aufgabe vom Bund weitestgehend allein gelassen; die hier zugesagte Hilfe kommt nicht an. Die Integrationskurse des BAMF sind auf Grund der restriktiven Teilnahmevoraussetzungen zum Aufenthalts- und Verfahrensstatus und der viel zu hohen Anforderungen an räumliche und personelle Standards nicht für die schnelle Integration einer großen Zahl von Geflüchteten geeignet.
Daher fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen, endlich ein koordiniertes Konzept für den Spracherwerb zu verankern. Wir setzen uns für ein Modell der Basissprachförderung ein, um den Geflüchteten schnell Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu vermitteln, auf die dann differenzierte Maßnahmen und Weiterqualifizierungen aufbauen können. Diese Basissprachkurse müssen in den Kommunen ohne bürokratische Zugangsberechtigungen unabhängig vom aktuellen rechtlichen Status und Sprachniveau der Geflüchteten erfolgen, damit alle Geflüchteten die Möglichkeit erhalten, schnell an einem Sprachkurs teilzunehmen.
Es bedarf für die Sprachvermittlung zudem aufeinander abgestimmter Integrationspfade, um den aktuellen „Angebotsdschungel“ und Doppelstrukturen bei den Sprachfördermaßnahmen zu beenden und eine Anschlussfähigkeit der einzelnen Maßnahmen zu gewährleisten. Für diese Koordination ist das Land ein geeigneter Rahmengeber. Die Umsetzung erfolgt am sinnvollsten in den Kommunen – dort, wo die konkrete Integration stattfindet und die Bedarfe bekannt sind.
Die Kommunen und das Land können ein solches flächendeckendes Angebot finanziell nicht alleine stemmen. Bei der gesamtstaatlichen Aufgabe der Integration der Schutzsuchenden ist der Bund in der Verantwortung. Daher fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen die Bundesregierung auf, die Finanzierung eines Basissprachangebotes zu übernehmen und so den Einstieg in eine lückenlose Bildungskette und damit eine gelingende Integration für alle Geflüchteten zu gewährleisten.
In der aktuellen Debatte kommt immer wieder die paradoxe Forderung auf, Geflüchtete gesetzlich zur Teilnahme an Sprachkursen zu verpflichten. Diesen Vorschlag lehnen wir klar ab; statt Geflüchtete gesetzlich zur Teilnahme an einem Sprachkurs zu verpflichten, muss zunächst ein ausreichendes flächendeckendes mit dem ÖPNV gut erreichbares Angebot in geeigneten Räumen zur Verfügung stehen. Um geflüchteten Familien mit Kleinkindern die Teilnahme zu ermöglichen, muss zudem eine adäquate Kinderbetreuung angeboten werden. Dafür ist eine gezielte Förderung und Unterstützung erforderlich und keine unnötigen und restriktiven Zwangsmaßnahmen.
Ausbau der Grundbildungsangebote
Einige der Geflüchteten, insbesondere die, die ihr Land wegen jahrelangem Krieg oder Terror verlassen mussten und schon lange auf der Flucht sind, kommen ohne Schulabschluss nach Deutschland; nicht wenige sind Analphabeten. Auch für diese Menschen brauchen wir ausreichend Grundbildungsangebote in den Kommunen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen setzen sich für eine Aufstockung dieser Kapazitäten ein.
Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt
Die Geflüchteten haben durch Krieg und Terror nicht nur ihre Heimat verloren, sondern oftmals auch einen Bruch ihrer Bildungs- und Arbeitsbiographien erfahren. Viele Menschen bringen gute berufliche Qualifikationen mit, manche haben bereits in ihrer Heimat ein Studium begonnen. Ihnen müssen wir Wege in den Arbeitsmarkt eröffnen beziehungsweise die Möglichkeit geben ihr Studium hier abzuschließen. Damit können wir unter anderem auch den sich in vielen Regionen und Branchen im Zuge des demografischen Wandels bereits deutlich abzeichnenden Mangel an Fach- und Arbeitskräften abmildern. Das gelingt aber nur, wenn wir jetzt die richtigen Weichen stellen. Wir GRÜNEN treten dafür ein, unsachgemäße bürokratische Hürden bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüssen abzuschaffen und die Anerkennungsverfahren zu beschleunigen. Um für den Zugang zu Ausbildung, Beruf, und Studium eventuell fehlende Teilqualifizierungen nachholen zu können, ist ein bedarfsgerechtes Angebot an Anpassungsqualifizerungen erforderlich.
Den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern
Die Arbeitsagenturen und Jobcenter müssen die Qualifikationen der Geflüchteten zügig erfassen, sie beraten und ihnen unabhängig vom bleiberechtlichen Status den vollen Zugang zu sämtlichen Maßnahmen gewähren, die Arbeitssuchenden zur Verfügung stehen. Statt Geflüchtete – wie von der Bundesregierung geplant – massenhaft in Ein-Euro-Jobs zwischenzuparken, muss Ziel bei der Integration in den Arbeitsmarkt sein, die Geflüchteten so bald als möglich in die Betriebe zu bringen. Nur dort lernen sie den Arbeitsalltag kennen und nur dort kann die Integration durch Arbeit gelingen. Alle Geflüchteten sollen daher grundsätzlich die Möglichkeit haben, eine Einstiegsqualifizierung zu durchlaufen; eine Art Langzeitpraktikum, bei dem Arbeitgeber ein erheblicher Teil der Kosten erstattet wird. Diese Einstiegsqualifizierungen sind sinnvoll mit Sprachkursen und zusätzlichen Betreuungs- und Qualifizierungsangeboten zu kombinieren. BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Niedersachsen setzen sich dafür ein, dass die Vorrangprüfung bei der Beschäftigung von Geflüchteten komplett abgeschafft wird. Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn für Geflüchtete lehnen wir kategorisch ab.
Ausbildungsgarantie auch für Geflüchtete
Über die Hälfte der Geflüchteten ist unter 25 Jahre alt. Gleichzeitig suchen zahlreiche Betriebe händeringend nach Auszubildenden. Doch derzeit verhindert schon die mangelhafte Regelung zum Bleiberecht während der Berufsausbildung viel zu oft, dass Geflüchtete und Betriebe zusammenfinden. Deshalb fordern wir GRÜNEN, dass alle Asylsuchenden und Geduldeten, die eine betriebliche Ausbildung beginnen, eine Aufenthaltserlaubnis für die gesamte Dauer der Berufsausbildung und einer anschließenden Beschäftigung erhalten.
Doch auch mit einer sicheren Bleibeperspektive werden die meisten Geflüchteten den direkten Sprung in die betriebliche Ausbildung ohne zusätzliche Unterstützung kaum schaffen. Deshalb sollen geflüchtete Jugendliche – genau wie alle anderen auch – über eine Ausbildungsgarantie die Chance bekommen, eine Ausbildung zu beginnen. Auch für sie soll die Einstiegsqualifizierung ein maßgeschneidertes Angebot darstellen, das sie auf die besonderen Anforderungen der betrieblichen Ausbildung vorbereitet. Die Teilnahme daran soll nicht nur grundsätzlich allen Geflüchteten offenstehen, sondern auch mit einer sicheren Bleibeperspektive belohnt werden. Wer die Einstiegsqualifizierung beginnt, darf sie auch in jedem Fall zu Ende führen, unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens. Gelingt den Geflüchteten anschließend der Sprung in die betriebliche Ausbildung, erhalten sie mit der Assistierten Ausbildung und ausbildungsbegleitenden Hilfen die nötige Unterstützung, die sie brauchen, um die betriebliche Ausbildung auch erfolgreich abzuschließen.
Hochschulzugang für Geflüchtete
Geflüchteten mit einer Hochschulzugangsberechtigung oder einem bereits begonnenen Studium muss die Chance gegeben werden, hier ein Hochschulstudium zu beginnen oder fortzusetzen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen begrüßen, dass die Landesregierung schnell gehandelt und Geflüchteten unbürokratische Wege an die niedersächsischen Hochschulen eröffnet hat. Ebenso unterstützen wir das große Engagement der Hochschulen, Angebote für Geflüchtete zu schaffen.
Zu den Programmen des Landes gehören beispielsweise die bereits Mitte 2015 aufgelegten und 2016 ausgeweiteten Intensivkurse für die Vorbereitung auf ein Hochschulstudium aber auch die Ermöglichung von Verfahren zur Feststellung und Anerkennung von Bildungsqualifikationen, die die individuelle Situation der Geflüchteten berücksichtigen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen setzen sich dafür ein, dass auch zukünftig eine umfassende Förderung dieser Projekte erfolgt und gut qualifizierte Geflüchtete schnell Zugang zu einem Hochschulstudium bekommen.
Gesellschaftliche Teilhabe
Mit der neuen Landeszentrale für politische Bildung haben wir GRÜNEN in der Landesregierung dafür gesorgt, dass die aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und einem Erstarken von fremdenfeindlichen Tendenzen dringend notwendige Bildungsarbeit ausgeweitet wird und neue Impulse erfährt. Diese Institution ist wichtig, um die Menschen in diesem Land – egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund – für die Demokratie zu begeistern und Partizipation zu ermöglichen.
Für die gesellschaftliche Teilhabe sind der Zugang zu Bildung und in den Arbeitsmarkt aber auch die Möglichkeit politischer Partizipation und Mitgestaltung von zentraler Bedeutung – aber auch der Zugang zu kulturellen Angeboten. Daher setzen sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen dafür ein, die Öffnung der Kultur in allen Bereichen weiter voranzutreiben. Diversity und gelebte Vielfalt müssen fester Bestandteil der Arbeit aller kulturellen Einrichtungen werden. Kultureinrichtungen und Multiplikator_innen müssen weiter zu den Möglichkeiten der Qualifizierung und Beschäftigung von geflüchteten Künstler_innen (Artist in Residence) beraten werden. Künstler_innen mit Migrationshintergrund soll wie beispielsweise durch die Veranstaltungsreihe CrossCulture an verschiedenen Orten die Möglichkeit geboten werden, über unterschiedliche Facetten von Kultur und kultureller Öffnung ins Gespräch zu kommen.
Integration geht nur gemeinsam
Das Gelingen der Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der nicht nur die öffentliche Hand gefragt ist, sondern auch die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Daher unterstützen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen das Bündnis „Niedersachsen packt an“.
Die Kommunen sind für die Integration die zentrale Schnittstelle. Um all die unterschiedlichen Handlungsfelder, Angebote und Programme zu koordinieren, ist es wichtig, vor Ort zentrale Anlaufstellen und Integrationszentren aufzubauen. Der Bund muss seiner Verantwortung für eine den Aufgaben entsprechende Finanzausstattung der Kommunen endlich gerecht werden.