In Museen sehen wir Artefakte und Gebeine, die uns nicht gehören. Unsere Straßen tragen Namen von deutschen Dieben und gewalttätigen Befehlshabern. An Schulen wird häufig nicht differenziert über Kolonialismus gesprochen, erst Recht nicht über daraus resultierende rassistische Einstellungen.
Bis heute wird der Kolonialismus in der deutschen Öffentlichkeit so gut wie nicht aufgearbeitet. Die Fremdherrschaft über Teile Afrikas, Ozeaniens und Chinas ist ein verdrängtes Kapitel unserer Geschichte. Der deutsche Kolonialismus bleibt bis heute häufig unerwähnt oder wird im Vergleich mit anderen Kolonialländern klein geredet. Dabei ist erstens ein Vergleich verschiedener Gräueltaten mit dem Ziel der Verharmlosung einer Tätergruppe unangebracht und zweitens haben deutsche Kolonialisten Menschenrechtsverbrechen begangen, die durch nichts schönzureden sind.
Erst im Jahr 2018 – 100 Jahre nach dem Ende des Kolonialismus – wurde diese Gewaltherrschaft erstmals in einem Koalitionsvertrag einer Bundesregierung erwähnt. Die GroKo in Niedersachsen bearbeitet das Thema in ihrem Koalitionsvertrag nicht. Die Grüne Landesregierung in Baden-Württemberg hat mittlerweile eine Führungsrolle eingenommen und in der Kulturministerkonferenz für gemeinsame Anstrengungen der Länder zur Restitution und Aufklärung gesorgt. Niedersachsen konnte dort nur wie ein handlungsunfähiger Zuschauer mit am Tisch sitzen.
Unter Grüner Regierungsbeteiligung wurde 2015 in Niedersachsen das Netzwerk Provenienzforschung gegründet. Doch Wissenschaftsminister Thümler hat hierfür wenig übrig und rühmt sich lieber mit dem Forschungsprojekt PAESE, das von derVolkswagenstiftung finanziert wird.
Nur langsam beginnt sich die Wahrnehmung zu ändern. Das ist dem Engagement vieler Historiker*innen, Bürgerinitiativen und Künstler*innen aus Europa und dem globalen Süden zu verdanken, auch und vor allem aus der afrikanischen Diaspora. Sie sind es, die die Öffentlichkeit nach und nach darauf hinweisen, welch schreckliches Leid unsere Vorfahren über große Teile der Welt gebracht haben – und, dass wir noch immer davon profitieren.
Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialherrschaft und der damit verbundenen Verbrechen müssen systematisch unter Einbeziehungunterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Ebenen angegangen werden. Dies bedeutet neben einer Überprüfung derbisherigen Restitutionspraxis und Ausstattung der Provenienzforschung in Bund und Ländern die dringend notwendige grundlegende Erweiterung der deutschen Erinnerungskultur.
Der globale Norden profitiert bis heute von den aus dem Kolonialismus hervorgegangenen Strukturen. Zivilgesellschaftlichen Initiativen und der Wissenschaft wird dagegen die Arbeit für eine Erinnerungskultur erschwert, wie die jüngsten Ereignisse um den sog. Afrikabeauftragten der Bundeskanzlerin, Günter Nooke, zeigen. Wir Grüne wollen sie dabei unterstützen, den Kolonialismus aufzuarbeiten, die Folgen zu mindern und ein Verhältnis auf Augenhöhe zwischen Nord und Süd anzustreben.
Der Grüne Landesverband Niedersachsen fordert das Land Niedersachsen auf,
Schritte zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit einzuleiten:
- Die oben geschilderten Sachverhalte sollen bei allem staatlichen Handeln berücksichtigt werden, sofern Belange ehemaliger Kolonien oder deren Bürger*innen und Nachkommen betroffen sind.
- Eine unabhängige und mindestens hälftig mit Nachfahren der Kolonien zu besetzende Kommission wird eingerichtet. Sie kann in Streitfällen
angerufen werden, Empfehlungen zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten aussprechen, gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung ein Erinnerungskonzept zum Kolonialismus und der niedersächsischen Rolle darin entwickeln, und soll bei der Ausarbeitung von Unterrichtsmaterial an Schulen sowie bei der Einrichtung von Forschungsfeldern an Hochschulen beteiligt werden. - Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte ist zwar bereits Bestandteil der Lehrpläne an Schulen, sollte aber dort noch stärker unter den oben genannten Aspekten im Unterricht verankert werden.
- Die Landesregierung sollte vermehrt Forschungskooperationen mit Universitäten ehemaliger Kolonien unterstützen, um auch die Sicht der Betroffenen bei der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte stärker zu berücksichtigen. Auch bei der Ausarbeitung dieser Maßnahmen soll die o.g. Kommission beteiligt werden.
- Das Land unterstützt die Errichtung eines deutschlandweit zentralen Denkmals zur öffentlichen Erinnerung an die Opfer deutscher
Kolonialverbrechen - Die Bestände der Kulturgut bewahrenden Einrichtungen von unabhängigen, transnationalen Expertenteams erforschen und digital erfassen zu lassen.
- Einrichtungen, die vom Land gefördert werden und Kulturgut aufbewahren, werden verpflichtet, sich kritisch mit der Provenienz auseinanderzusetzen und sich mit den Herkunftsgesellschaften über den weiteren Umgang zu verständigen. Das gilt auch und vor allem für die Einrichtungen, die menschliche Gebeine aufbewahren, unabhängig davon, ob sie vom Land gefördert werden oder nicht.
- Landesmittel für anthropologische Forschung an menschlichen Gebeinen aus kolonialen Kontexten werden nur zur Verfügung gestellt, wenn diese Forschung ausdrücklich der Klärung der Provenienz und der Restitution der Gebeine dient.
- Die Museen im Einflussbereich des Landes verstärken die Aufklärungsarbeit über den Kolonialismus, zum Beispiel über Themenausstellungen oder Ausstellungsschwerpunkte nach dem Vorbild der Ausstellung „Heikles Erbe. Koloniale Spuren bis in die Gegenwart“, die 2016 und 2017 im Landesmuseum in Hannover stattfand.
- Das Land Niedersachsen soll sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Bundesregierung die historische Schuld und Verantwortung Deutschlands anerkennt, sich offiziell für die in der Kolonialzeit verübten Verbrechen entschuldigt, und entsprechende Wiedergutmachung anbietet.
Darüber hinaus erkennen wir an, dass die Umbenennung von Straßennamen für Kommunen eine wichtige Funktion im Rahmen der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit darstellt. Die Benennung von Straßen ist eine öffentliche Würdigung der genannten Personen. Sind sie Personen der Kolonialgeschichte, so würdigen die Kommunen auch deren Handeln im kolonialen Kontext. Unsere Städte und Gemeinden haben deshalb hier eine gute Möglichkeit, beim Umgang mit Straßennamen zur Aufarbeitung beizutragen. Statt der üblichen Denkmalfunktion von Straßennamen könnten Kommunen auch Straßennamen als Mahnmal vergeben oder zum Mahnmal umwidmen. Wo dies geschieht, unterstützen Bündnis 90/Die Grünen sie mit Rat und Tat.