Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine begann die größte Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch nicht nur aus der Ukraine, sondern auch aus anderen Ländern wie Afghanistan oder Syrien suchen Menschen Schutz bei uns in Niedersachsen. Den damit einhergehenden Herausforderungen müssen wir uns stellen und Antworten bieten, die real existierende Probleme lösen.
Kriege, Armut, Repression und auch der Klimawandel zwingen viele dazu, einen sicheren Ort zu suchen. Dabei stehen für uns zwei Dinge im Vordergrund: Wir wollen unserem historischen Anspruch gerecht werden, den uns das Grundrecht auf Asyl mitgibt. Die individuelle Asylprüfung bleibt unantastbar. Zum anderen wollen wir Niedersachsen als Migrationsgesellschaft weiter gestalten. Deshalb werben wir für eine Kultur der Integration und Teilhabe ab dem ersten Tag, gemeinsam mit Unternehmen, Gewerkschaften, sozialen und kirchlichen Verbänden. So können wir der Realität gerecht werden, dass wir in den nächsten Jahren auf Zuwanderung angewiesen sein werden. Wir setzen uns ein für eine offene und liberale Migrationsgesellschaft in Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention und Asyl im Grundgesetz. Menschen auf der Flucht dürfen nicht kriminalisiert und entrechtet werden. Wir GRÜNE in Niedersachsen stehen für eine humane und vernünftige Asylpolitik, keine Scheinlösungen.
Das Grundrecht auf Asyl verteidigen und Integration und Teilhabe erleichtern
Niedersachsen ist ein weltoffenes Einwanderungsland und war es schon immer. Wir möchten allen Menschen ermöglichen, frei von Angst und Diskriminierung in einem Bundesland der Chancengleichheit leben zu können. Den jetzigen wie den kommenden Herausforderungen in der Aufnahme müssen wir gerecht werden. Auch wenn wir aus Niedersachsen heraus nicht die weltpolitische Lage bedeutend verändern können, tragen wir dennoch unseren Teil dazu bei. Als GRÜNE in Niedersachsen leisten wir mit Sachpolitik und handfesten Vorschlägen einen Beitrag, der den teils überhitzten Diskurs auf feste Beine stellen soll. In diesem Sinne begrüßen wir es, dass die Ministerpräsident*innenkonferenz eine Einigung für eine höhere Finanzierungsbeteiligung des Bundes an der Geflüchtetenunterbringung, Verwaltungsvereinfachungen und die Digitalisierung erzielt hat. Die Menschen erwarten von der Politik Antworten auf die Herausforderungen im Land und dass wir gemeinsam konsequente Schritte zur Lösung gehen. Die Debatte ist aber häufig geprägt von unwirksamen Scheinlösungen und massiven Grundrechtseingriffen in den Schutz von Geflüchteten. Der Beschluss der Ministerpräsident*innenkonferenz löst mit der Verschlechterung von Sozialleistungen und Diskussionen über Asylverfahren außerhalb der EU keine Probleme der Kommunen. Diese Teile des Beschlusses sind mit unserem Grundrechtsverständnis nicht vereinbar, verschärfen soziale Probleme und belasten damit die Kommunen noch obendrauf. Wir stellen uns klar gegen diskriminierende Bezahlkartensysteme, die ebenfalls mit unserem Rechtssystem unvereinbar sind.
Die Niedersächsischen Gemeinden und Landkreise leisten Großartiges und verdienen unsere breite Unterstützung bei der Aufnahme von Geflüchteten. Und auch ohne das große Engagement unzähliger Freiwilliger, Vereinen und Hilfsorganisationen würde die aktuelle Herausforderung nicht zu meistern sein. Ihnen allen gilt unser großer Dank und unsere Wertschätzung. Diese Leistung muss gewürdigt und unterstützt werden.
Unsere niedersächsischen Kommunen sind zu einem großen Teil in Haushaltssicherungskonzepte gerutscht, da sie ihre vielzähligen Aufgaben kaum noch ausfinanzieren können. Doch sie sind es, die diese Integrations- und Teilhabeleistungen vor Ort umsetzen und wo Menschen auf der Flucht ankommen. Neben der finanziellen Notlage fehlt es auch an kurzfristig verfügbarem Wohnraum, Kitaplätzen und Lehrkräften. Kommunen brauchen Planungssicherheit und einfachere Verfahren. Wir nehmen diese Gestaltungsaufgabe weiter an und arbeiten an Lösungen, die unmittelbar und tatsächlich zur Erleichterung der Situation beitragen.
Wir stellen fest, dass eine gute Asylpolitik nur durch ein enges Zusammenspiel aller politischen Ebenen und einem klaren Bekenntnis aller Parteien zu der Suche nach Lösungen anstatt eines weiteren Aufheizens der Situation gelingen kann. Dieses muss durch konstruktive anstatt vermeintlich einfache Lösungen geschehen, die der komplexen Realität gerecht werden. So schaffen wir eine Asyl- und Migrationspolitik, die dauerhaft Humanität und Vernunft verantwortungsvoll und solidarisch zusammenbringt. Der Wettlauf um die radikalste Forderung, die am Ende keine Herausforderung löst, aber politisch Rechtsextreme stärkt, muss beendet werden.
Schutz statt Scheinlösungen
Um tatsächlich Entlastung für Kommunen zu schaffen, helfen keine Scheinlösungen wie unwirksame Grenzkontrollen, Sachleistungen oder der Fokus auf Abschiebungen, denen in der Regel wirksame Rechtsgründe und menschenrechtliche Standards entgegenstehen. Kommunen müssen strukturell in ihren Finanzen besser aufgestellt werden, um allen Aufgaben gerecht werden zu können. Überforderte und unterfinanzierte Kommunen vor Ort gefährden letztendlich demokratische Prozesse und erschüttern das Vertrauen in die Demokratie.
Es braucht ein klares Bekenntnis aller Ebenen, unsere Kommunen mit dieser Herausforderung nicht alleine zu lassen. Wir setzen uns deshalb dafür ein, im Rahmen der Landeskoalition sowie der Bund-Länder-Abstimmungen alle Möglichkeiten zu prüfen und zu unterstützen, die Kommunen real entlasten. Ein erster Erfolg ist die Einigung im Rahmen der Bund-Länder-Gespräche, dass Kommunen eine verlässliche Unterstützung bei der Finanzierung der Aufnahme, Versorgung und Integration bekommen. In Niedersachsen unterstützt das Land darüber hinaus, insbesondere auch weiterhin bei der Vorhaltung von Kapazitäten. Es ist ein wichtiger Schritt, dass auch der Bund hier jetzt mehr leistet und dass es den Einstieg in ein atmendes System gibt. Dafür hat sich die Landesregierung erfolgreich stark gemacht.
Neben der Versorgung von geflüchteten Menschen muss sich das Land auch innenpolitisch auf die Aufnahme von angeworbenen Fachkräften vorbereiten, die ebenfalls einen Integrations- und Teilhabebedarf haben. Auch hierfür werden in den nächsten Jahren Kita-Plätze, Wohnungen und Integrationskurse gebraucht.
Wir möchten den Kommunen langfristige Planungssicherheit geben. Das geht nicht im Sechs-Monats-Rhythmus, sondern braucht längerfristige Sicherheit. Im Zentrum steht für uns eine bessere und verlässliche Grundfinanzierung von Kommunen bei der Aufnahme. Die Einführung der pro-Kopf-Pauschale ist hierfür ein erster richtiger Schritt und stellt einen echten Systemwechsel dar, den wir grundsätzlich begrüßen. Zur pro-Kopf-Pauschale soll ein Bundes-Investitionsfond eingeführt werden, der aus Mitteln des Bundes gefüllt wird. Aus diesem Fonds sollen langfristige Investitionen getätigt werden, die im Zusammenhang mit der kommunalen Aufnahme von geflüchteten Menschen stehen.
Zusätzliche Kitas und Schulräume werden durch die Aufnahme insbesondere vieler aus der Ukraine geflüchteter Menschen dringend benötigt. Wir schlagen vor, dass für diese besonderen Maßnahmen auch Mittel aus dem europäischen Asyl-, Migrations, und Integrationsfonds (AMIF) beantragt werden sollen. Damit würde jeder in ein Projekt investierte Euro durch EU-Mittel verneunfacht. Dies ist ein enormer Hebel, der bisher weitestgehend ungenutzt bleibt.
Die Verteilung in Niedersachsen ist nicht gleichmäßig, denn jede Kommune hat ihre eigenen Kapazitäten. Denjenigen, die in der Vergangenheit vorgesorgt haben oder jetzt besonders viel leisten, möchten wir mit einer Sonderzuweisung helfen. So können sich die lokalen Entscheidungsträger*innen wieder auf das konzentrieren, was gerade gebraucht wird.
Zur Entlastung der Ausländerbehörden trägt schon jetzt der im Chancenaufenthaltsrecht angelegte Spurwechsel bei. Den Spurwechsel wollen wir ausweiten, denn damit können Menschen in die Erwerbsmigration wechseln. Auch die Reduzierung von Vorspracheterminen und eine bundesweit einheitliche digitale Aktenführung wären ein entscheidender Beitrag zur Entlastung. Das ist eine vernünftige und zielführende Maßnahme, im Gegenteil zur Kürzung von Sozialleistungen – denn dadurch würde die Zahl der Geflüchteten nicht sinken, aber es würden soziale Probleme verschärft.
Über die Verwendung der Gelder, die vom Bund den Ländern zur Verfügung gestellt wurden, muss Transparenz hergestellt werden. Die niedersächsische Landesregierung informiert transparent über die Verwendung der Mittel. Das Bundesland Bayern hat bisher nur einen Bruchteil der Unterstützung des Bundes an die Kommunen weitergegeben. Wir möchten deshalb eine Transparenzpflicht einführen, wie die Mittel des Bundes verwendet werden. Wir hoffen, dass Bayern ein Einzelfall bleibt.
Ankommen erleichtert: Für mehr Teilhabe ab dem ersten Tag
Wir wollen, dass Niedersachsen ein wirtschaftlich starkes Land bleibt.
Integration und Teilhabe, Sprachförderung, Aus- und Weiterbildung sowie die Erleichterung der Anerkennung von Abschlüssen bewirken, dass in naher Zukunft das ganze Land profitiert. Ein wichtiger Baustein für unsere lokale Wirtschaft sind Arbeits- und Fachkräfte, für die wir ein attraktives Ziel sein müssen.
Darin sind sich Ökonom*innen, aber auch Handwerksbetriebe und Unternehmen einig, die dringend Mitarbeitende und Auszubildende brauchen. Auch die öffentlichen Kassen werden entlastet, wenn Menschen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können.Dies scheitert nicht am Willen der Zugewanderten, eine Tätigkeit aufzunehmen, sondern an rechtlichen Hürden. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass Geflüchtete ab dem 1. Tag nach der dreimonatigen Wartefrist arbeiten dürfen und dass Arbeitsverbote abgeschafft werden.
Zusätzlich müssen Anerkennungs- und Qualifizierungsberatungen als ein wesentliches Instrument zur Arbeitsmarktintegration von internationalen Fachkräften gesetzlich verankert werden. Doch darüber hinaus brauchen wir auch die benötigte und politisch gewollte Willkommenskultur vor Ort.
Niedersachsen ist ein offenes und vielfältiges Bundesland, das die nötigen Vorkehrungen dafür trifft, damit dieses Zusammenleben in Vielfalt gelingt. Die meisten Menschen, die zu uns gekommen sind, werden bleiben. Eine verantwortungsvolle Politik schafft darum die Möglichkeit für eine schnelle und langfristig gelingende Integration und Teilhabe in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt. Dafür muss es eine gemeinsame, verbindliche Verständigung aller Beteiligten darüber geben, wie das gelingen kann.
Im Rahmen der Vorschläge durch die Ministerpräsident*innenkonferenz fordern wir eine breite Beteiligung der Zivilgesellschaft und Wissenschaft in der Kommission des MPK-Beschlusses.
Verschiedenen Studien sind mit dem Versuch gescheitert, den Nachweis zu erbringen, dass Menschen durch weniger Sozialleistungen nicht nach Deutschland kommen, Durch Sachleistungen werden den Kommunen zudem weitere bürokratische Aufgaben auferlegt, dadurch bleiben Probleme ungelöst und Behörden werden überfordert. Stattdessen müssen Verfahren digitalisiert und vereinfacht werden.
Wie es gehen kann, zeigt Oberbürgermeister Belit Onay mit der Socialcard. Die geplanten Einschränkungen bei den Leistungen für Asylbewerber*innen in den ersten drei Jahren werden zur Konsequenz haben, dass zum Beispiel Familien mit Kindern in dieser Zeit geringere Integrationsleistungen bekommen als mit dem Bürgergeld. Damit wird Integration und Teilhabe verhindert.
Die Einwanderungs- und Ausländerbehörden in Niedersachsen sowie die Verwaltungsgerichte müssen personell besser aufgestellt werden und brauchen Vereinfachung sowie Rechtssicherheit, um Verfahren zu beschleunigen und Engpässe zu beheben. Auch hierbei spielt die Digitalisierung eine große Rolle.
Migrationsstrukturen auf Landesebene und auf kommunaler Ebene sollen gestärkt werden. Die großartige Leistung der Migrationsberatungen in Niedersachsen ist von unschätzbarem Wert. Ihre Arbeit soll dauerhaft auskömmlich finanziert sein.
Auch die unabhängige Asylverfahrensberatung muss ausgebaut und verstetigt werden.
Ein zentraler Baustein der Bundesebene wird sein, Migrationsabkommen auf Augenhöhe mit den Herkunftsstaaten zu schließen. So bleiben auch vielen Menschen gefährliche Fluchtrouten erspart. Wir lehnen die Durchführung von Asylverfahren außerhalb Europas ab. Diese sind völker- und europarechtlich nicht durchführbar.Wir begrüßen ausdrücklich, dass es hierzu aus Niedersachsen eine entsprechende Protokollnotiz in der Bund-Länder-Runde gibt. Menschen werden aus vielfältigen Gründen auch nach ihrem Asylverfahren nicht zurückgeführt. Diese Gründe sind so vielfältig, wie die Menschen, die sie betreffen. In vielen Staaten kann zum Beispiel, obwohl kein rechtlicher Asylgrund vorliegt, aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden. Menschen, die unmittelbar ausreisepflichtig sind, müssen zurückgeführt werden. Wie bereits im niedersächsischen Koalitionsvertrag beschrieben, steht für uns die freiwillige Ausreise an erster Stelle. Sind Abschiebungen unvermeidbar, gelten die humanitären Grundsätze und die Berücksichtigung u.a. des Kindeswohls und der größtmögliche Verzicht auf die oft unverhältnismäßige Anwendung von Haft. Dies ist unser unverrückbarer Grundsatz.
Niemand verlässt seine Heimat ohne triftigen Grund. Menschen verlassen ihr Zuhause aufgrund von Konflikten, Krisen oder politischer Verfolgung. Ihr Leid und ihre Flucht und ihre Menschenwürde ist nicht zu relativieren.Den menschenrechtswidrigen Umgang mit Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen verurteilen wir und setzen uns dafür ein, dass Menschenrechte eingehalten werden. Dafür ist eine starke zivile und auch staatlich koordinierte Seenotrettung erforderlich.
Als GRÜNE sind zwei unserer Herzensthemen, Klima und Demokratie, zentrale Bausteine, um Fluchtursachen effektiv zu bekämpfen. Wir setzen uns für die nachhaltigen Entwicklungsziele und humanitäre Unterstützung in betroffenen Regionen ein, die regionale und bedarfsgerechte Lösungsansätze kooperativ mit der Expertise der Menschen vor Ort entwickelt. Wir wissen, dass nicht alle Krisen erfolgreich beendet werden können. Wer in Niedersachsen Schutz findet, soll von uns jede Unterstützung für den Beginn eines neuen Lebens, der gesellschaftlichen Teilhabe und Mitbestimmung bekommen. Für Niedersachsen bleibt der Schutz des einzelnen Menschen mit seinen Bedürfnissen nach Schutz und Sicherheit der Ausgangspunkt jedes politischen Handelns.