Niedersachsen ist ein vielfältiges Land. Dies gilt auch für die Religionen und Weltanschauungen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen bekennen sich zu dieser Pluralität und auch zur Neutralität des Staates gegenüber Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.
Spätestens seit der Zuwanderung sogenannter Gastarbeiter*innen aus muslimisch geprägten Ländern nach Niedersachsen ist muslimisches Leben in all seiner Vielfalt bei uns anzutreffen. Heute leben bei uns schätzungsweise knapp 400.000 Menschen muslimischen Glaubens, womit der Islam seinen festen Platz in der niedersächsischen Gesellschaft hat.
Das Land Niedersachsen hat in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen die Zusammenarbeit mit den muslimischen Verbänden DITIB Niedersachsen und Bremen e.V. und SCHURA Niedersachsen – Landesverband der Muslime e.V. sowie der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. aufgebaut und vertieft: z.B. im Bereich der Seelsorge, der Bildung, der Wissenschaft usw.
Aktuell verhandelt das Land Niedersachsen einen Vertrag mit den muslimischen Verbänden. In diesem Vertrag sollen viele Fragen muslimischen Lebens einer rechtlichen Grundlage zugeführt werden.
Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass nicht alle Menschen muslimischen Glaubens in Niedersachsen durch die Verbände DITIB und SCHURA repräsentiert werden. Daher sind wir der Auffassung, dass auch mit kleineren muslimischen Zusammenschlüssen das Gespräch gesucht und ein Dialog geführt werden muss.
Grundsätzlich ist es vorstellbar, dass der Staat auf Verträge mit den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verzichtet. In unserer Partei gibt es Stimmen, die derartige Verträge prinzipiell für überholt ansehen und die Rechte der Religionsgemeinschaften ausschließlich über allgemeine Gesetze regeln wollen. Mit Blick auf die bestehenden Verträge anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, deren Fortdauer überparteilich von einer großen Mehrheit befürwortet wird, ist der Abschluss von Verträgen mit DITIB und Schura jedoch ein wichtiger Schritt der grundgesetzlich gebotenen Gleichbehandlung und Pluralität.
Aufbauend auf der bisherigen Zusammenarbeit zwischen dem Land Niedersachsen und den muslimischen Verbänden fordern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen, Verträge mit DITIB, SCHURA und der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. abzuschließen, die
- das Verhältnis des Landes Niedersachsen mit den Verbänden und Fragestellungen muslimischen Lebens in Niedersachsen auf eine klare rechtliche Grundlage stellen,
- den muslimischen Verbänden eine Perspektive bieten, um unabhängige, inländische und hauptamtliche Strukturen in Niedersachsen aufzubauen, die sich langfristig selbst tragen können.
Niedersachsen wird säkularer und multireligiös
In den letzten Jahrzehnten hat eine zunehmende religiöse und weltanschauliche Pluralisierung der Gesellschaft stattgefunden. Waren zur Zeit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland noch 95 Prozent der Bevölkerung Mitglieder in der evangelischen oder katholischen Kirche, sind es heute nur noch knapp 60 Prozent. Zum einen haben also durch die wachsende Säkularisierung der Gesellschaft die beiden großen christlichen Kirchen einen großen Teil ihrer Mitglieder verloren, zum anderen haben sich Verbände von Freireligiösen und Menschen mit humanistischer Weltanschauung gegründet, neue Religionsgemeinschaften sind als Teil der Einwanderungsgesellschaft hinzugekommen. Dies bestätigt auch eine aktuelle Studie des Sachverständigenrates für Migration („Jahresgutachten 2016 – Viele Götter, ein Staat: Religiöse Vielfalt und Teilhabe im Einwanderungsland“). In diesem Zusammenhang müssen die Rechte der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewahrt, aber auch Erwartungen klar formuliert werden.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Niedersachsen bekennt sich sowohl zu dieser religiösen und weltanschaulichen Pluralität als auch zum grundsätzlichen Prinzip der Neutralität des Staates gegenüber Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Diese Neutralität bedeutet nicht, dass Staat und Religion hermetisch voneinander getrennte Sphären sind, sondern eine äquidistante und diskriminierungsfreie Gleichbehandlung aller Religionen durch den Staat, die dazu dient, das Recht auf Religionsfreiheit zu schützen. Zu diesem Schluss kommt auch die bei der 36. BDK im Oktober 2013 eingesetzte Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“.
Die grüne Grundhaltung muss dabei lauten: Menschenrechte gewährleisten, Freiheit ermöglichen, Pluralität verwirklichen, Gleichberechtigung und Antidiskriminierung sicherstellen!
Wir GRÜNEN sind die Partei, die alle im Blick hat: die verschiedenen Religionsgemeinschaften, die Weltanschauungsgemeinschaften und auch Menschen, die keiner Gemeinschaft angehören.
Islam als Teil Niedersachsens
Insbesondere durch verschiedene Migrationsbewegungen hat der Islam nunmehr seinen festen Platz in der niedersächsischen Gesellschaft. Muslimischen Menschen in Niedersachsen muss es möglich sein, ihre Religion offen zu leben, als Mitglieder der niedersächsischen Gesellschaft anerkannt zu werden und gleichberechtigt an ihr teilzuhaben. Dazu verpflichtet uns das Grundgesetz.
Aus diesem Grund wurde im rot-grünen Koalitionsvertrag vereinbart und einstimmig auf der Landesdelegiertenkonferenz in Hannover im Februar 2013 unterstützt, in Niedersachsen Verträge mit den muslimischen Verbänden abzuschließen. Mit den Verträgen wird die Anerkennung von Menschen muslimischen Glaubens als Teil der Gesellschaft dokumentiert und die Gleichbehandlung mit anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sichergestellt, die bereits über solche Verträge verfügen. Mit der Unterstützung und Begleitung des Aufbaus von Strukturen wollen wir dokumentieren, dass der Islam und Menschen muslimischen Glaubens zu Niedersachsen und zur niedersächsischen Gesellschaft gehören.
Muslimischem Leben eine niedersächsische Perspektive bieten
Das bedeutet, dass auch Strukturen entstehen müssen, mit denen sich das muslimische Leben in Niedersachsen strukturell und auch finanziell selbst tragen kann. Noch immer sind muslimische Gemeinden auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen, da es beispielsweise keine Imam-Ausbildung in Deutschland gibt. Das wollen wir ändern, da wir die Verbindung zwischen Ditib und der türkischen Religionsbehörde Diyanet gesellschaftlich wie auch politisch kritisch sehen. Wir wollen, dass Theolog*innen, Geistliche, Imame usw. auch in Deutschland ausgebildet und in den niedersächsichen Gemeinden eingesetzt werden. Wir wollen, dass sie in Niedersachsen verwurzelt und der deutschen Sprache mächtig sind und die muslimischen Gemeinden in Niedersachsen, die muslimische Vielfalt sowie „Land und Leute“ kennen. Dabei wollen wir die Gemeinden unterstützen.
Menschenfeindliche Ideologien bekämpfen
Wir brauchen aber auch einen intensiven und kritischen Austausch mit den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Insbesondere im Bereich der muslimischen Gemeinden stellen sich viele gesellschaftliche Herausforderungen und Fragestellungen, wie z.B. Islamfeindlichkeit, Teilhabe, Diskriminierung, Radikalisierung oder Gleichberechtigung der Geschlechter. Für die Bewältigung dieser Herausforderungen brauchen wir hauptamtliche und repräsentative Ansprechpartner*innen, die in Niedersachsen verankert sind. Dem wollen wir durch eine Professionalisierung der Dachverbände begegnen und eine Weiterentwicklung auf Grundlage des Grundgesetzes voranbringen.
Kein heiliges Buch steht über dem Grundgesetz