Am 26. März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland in Kraft getreten, deren zentrales Prinzip neben dem Schutz vor Diskriminierung insbesondere die „volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ (Artikel 3 UN-BRK) ist.
Wir GRÜNE setzen uns für eine inklusive Gesellschaft ein, in der alle Menschen miteinander leben, lernen, arbeiten und am Leben in der Gemeinschaft teilhaben können. Menschen mit Behinderungen haben das Recht, selbstbestimmt, gleichberechtigt und ohne Diskriminierung aufgrund ihrer oder seiner Beeinträchtigung zu leben! Der Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile ist dafür eine Grundvoraussetzung. Daher fordern wir schon lange die Ablösung der überholten, aus Fürsorge und Sozialhilfe stammenden, Eingliederungshilfe durch ein echtes Bundesteilhabegesetz als modernes Leistungsgesetz.
Das geltende Recht der Eingliederungshilfe, das einen großen Teil der Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen regelt, stammt größtenteils aus den 1960er und 1970er Jahren. Es enthält Passagen, die nicht mit der UN-BRK vereinbar sind und bedarf deshalb dringend einer Reform.
Zur Umsetzung der UN-BRK hat es sich die Bundesregierung zur Aufgabe gemacht, das derzeit geltende Teilhaberecht derart umzugestalten, das sich die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen verbessert und möchte so einen weiteren wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft zu setzen. Die Bundesregierung definiert in ihrem Gesetzentwurf als oberstes Ziel den Anspruch, mit dem neuen Bundesteilhabegesetz (BTHG) die UN-BRK in großem Maßstab zu berücksichtigen und umzusetzen. Mit dem neuen Gesetz sollten Menschen mit Behinderung aus der Sozialhilfe herausgeführt und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht umgestaltet werden. Strukturen für eine inklusive Gesellschaft sollen ausgebaut und Menschen mit Behinderungen durch eine jeweils individuell zugeschnittene Unterstützung die vollständige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden.
Doch der Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett beschlossen hat, ist trotz einiger Verbesserungen nach wie vor enttäuschend. Er bringt nicht den von Union und SPD angekündigten Systemwechsel, vielmehr ist die Logik der Sozialhilfe nach wie vor bestimmend. Insbesondere für Menschen mit hohem Assistenz- und Unterstützungsbedarf sowie für Menschen mit Lernschwierigkeiten sind sogar Nachteile zu erwarten.
Zudem will der Bund, anders als angekündigt, Länder und Kommunen nicht strukturell und dauerhaft bei den Kosten der Eingliederungshilfe entlasten.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Niedersachsen fordern die Landesregierung auf, sich im Bundesrat mit Nachdruck für wesentliche Verbesserungen am Entwurf der Bundesregierung einzusetzen. Es muss unbedingt gewährleistet sein, dass Art und Umfang der Leistungen aus der Eingliederungshilfe auf dem Niveau des derzeit geltenden Rechts erhalten und echte Fortschritte erzielt werden. Ein gutes Bundesteilhabegesetz muss Inklusion und Selbstbestimmung ermöglichen. Dafür müssen mindestens folgende Punkte erfüllt sein:
- Für die Leistungsberechtigung muss gelten: Wer Unterstützung braucht, muss diese auch bekommen! Der Kreis der Leistungsberechtigten darf nicht eingeschränkt werden. Der Zugang zur Eingliederungshilfe darf künftig nicht auf die Voraussetzung beschränkt werden, dass in mindestens fünf bzw. drei von neun Lebensbereichen erhebliche Teilhabeeinschränkungen vorliegen müssen. Auch Ausländer*innen ohne Niederlassungserlaubnis oder mit einem befristeten Aufenthaltstitel und Asylsuchende mit Behinderung müssen ein Recht auf Eingliederungsleistungen haben.
- Menschen mit Behinderung müssen selbst bestimmen können, wo, wie und mit wem sie leben möchten. Das Wunsch- und Wahlrecht in Bezug auf die Leistungserbringung darf nicht eingeschränkt werden. Menschen mit Behinderungen müssen selbstbestimmt und unabhängig von den entstehenden Kosten entscheiden können, ob sie ambulante oder stationäre Leistungen, Einzel- oder Gemeinschaftsleistungen in Anspruch nehmen. Das Gleiche gilt für die Wahl der Wohnung. Leistungen der sozialen Teilhabe wie beispielsweise der persönlichen Assistenz dürfen nur dann gemeinsam für mehrere Personen erbracht werden, wenn die Leistungsberechtigten das ausdrücklich wünschen. Es darf nicht möglich sein, einen Menschen mit Behinderung zu zwingen, sich z.B. eine Assistenz mit dem ebenfalls behinderten Nachbarn zu teilen, weil das kostengünstiger wäre.
- Der „Verschiebebahnhof“ zwischen Eingliederungshilfe und Pflegeversicherung muss beendet werden. Eine Ausweitung der Diskriminierung behinderter Menschen in der Pflegeversicherung muss unbedingt verhindert werden. Leistungen der Eingliederungshilfe müssen weiterhin gleichberechtigt neben Pflegeleistungen stehen.
- Mit der Reform der Eingliederungshilfe muss eine dauerhafte Kostenbeteiligung des Bundes einhergehen, damit Leistungsverbesserungen für alle Menschen mit Behinderungen möglich sind.
- Leistungen der sozialen Teilhabe dienen dazu, die Benachteiligungen aufgrund der Behinderung auszugleichen und selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf diese Leistungen. Die Partnerregelung zur Einkommensanrechnung ist zwar eine Verbesserung, aber die Anrechnung von Einkommen und Vermögen sollte mittelfristig abgeschafft werden.
- Ein „Mindestmaß verwertbarer Arbeit“ als Voraussetzung für den Zugang zu einer Werkstatt für behinderte Menschen ist ersatzlos zu streichen, damit auch zukünftig Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf Zugang zu Werkstätten haben.
- Menschen mit Behinderungen müssen gleichberechtigten Zugang zu Bildung haben. Dies gilt auch für den zweiten Bildungsweg, eine berufliche Neuorientierung oder Praktika.